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Die Klasse Kirsi Mikkola - Junge Malerei: Über den feinen Unterschied zwischen zeitgemäßer und guter Kunst

Manchmal werden einem die Dinge auch einfach leichtgemacht. So wie in diesem Fall, wo man vom Pressetext der Galerie bereits das perfekte Stichwort geliefert bekommt: „Amoako Boafos Arbeiten [wurden] schnell zu einem Lieblings-Asset der Flipperia. [...] Boafos Kunst erweist sich jedoch stark genug, um dem die Stirn zu bieten.“ Gut, das ist hier zwar keine Einzelausstellung Boafos, sondern eine Gruppenschau von Schülern Kirsi Mikkolas an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Trotzdem war man natürlich besonders auf die Bilder dieses – mit 36 Jahren darf man ihn wohl gerade noch so nennen – Wunderknaben gespannt, dessen kometenhafte Karriere seit 2018, genauer seitdem ihn (der offizielle Porträtist Obamas) Kehinde Wiley auf Instagram entdeckt und seiner Galeristenschar in New York, Los Angeles, Paris und London empfohlen und der umtriebige Wiener Kunstmanager Amir Shariat ihm 2019 eine Residency bei dem Sammlerpaar Rubell in Miami vermittelt hatte, einen geradezu bilderbuchartigen Verlauf nahm, samt einem kolportierten Guggenheim-Ankauf und einem veritablen Skandälchen nach dem etwas blauäugigen Eingeständnis, den Preis eines seiner Bilder bei einer Auktion von Phillips London, nun ja, manipuliert zu haben; oder es zumindest billigend in Kauf genommen zu haben, dass dieser von ins Vertrauen gezogenen Mittelsmännern manipuliert wird, denn es gilt bis heute nicht als restlos ausgemacht, von welcher Lauterkeit eigentlich die Motive waren, die diesem Fauxpas zugrunde lagen: Wollte Boafo tatsächlich dem Preistreiben auf dem Sekundärmarkt Einhalt gebieten? Oder beabsichtigte er nicht doch eher das genaue Gegenteil davon? Wie auch immer, mit dem avisierten Wechsel zu einer der ganz großen Galerien (im Gespräch ist etwa Gagosian) sollen die wilden Spekulationen der Flipperia nun ein Ende finden und seine Karriere auf ein solides Fundament gestellt werden, das Seriosität, Nachhaltigkeit und Dauer verspricht. Was uns geradewegs zu der eingangs aufgeworfenen Frage zurückführt: Ist Boafo das ganze Gewese, das um sein Werk gemacht wird, wirklich wert?

Nun, dazu kann man sagen, dass man dazu ... eigentlich nur wenig sagen kann. Was nicht zuletzt an der schieren Quantität dessen liegt, was einem hier geboten wird: Von zwei Arbeiten lassen sich, möchte man Fairness walten lassen, nicht wirklich Schlüsse von solcher Tragweite ziehen; noch dazu, wo es sich dabei um „Frühwerke“ (von 2016 & 2017) handelt, mutmaßlich Bestände, die der Maler erübrigen konnte, nachdem er all die anderen Galeristen, Sammler und sonstigen Käufer bedient hatte, bei denen er in der pressierenden Lieferpflicht steht. Immerhin lässt sich an ihnen aber ablesen, dass ihm sein signature style – die mit Fingern aufgetragene Farbe, die auf Gesichtern und Körpern schlierige Texturen hinterlässt, was von ferne an den ebenso pastosen wie nervösen Duktus eines Egon Schiele erinnert – nicht von Anfang an gegeben war, sondern erst haptisch ausfindig gemacht werden musste. Und wo ein Vorher war, wird wohl auch ein Danach sein, eine Konjektur, die zumindest die Fiktion gestattet, dass Boafo nicht in dem, was ihm den Erfolg gebracht hat, für immer erstarren wird. Weil ein solcher Wandel einmal tatsächlich vonnöten sein wird, will er in der Kunstwelt längerfristig bestehen. Denn eines muss schon auch betont werden: Amoako Boafo verdankt seinen Durchbruch zu einem nicht unbeträchtlichen Maße der glücklichen Fügung, dass gerade jetzt besonders nachgefragt wird, was er herzustellen in der Lage ist. Und das heißt konkret: Der Kunstmarkt giert seit einigen Jahren nach Bildern von Schwarzen Künstlern, und da besonders nach figurativer Malerei. Eine Entwicklung, die gewiss damit zu tun hat, dass das Teilsystem Kunst in den letzten ein, zwei Dekaden der Gesellschaft darin gefolgt ist, sich einen politischeren oder, vielleicht sogar treffender, moralischeren Anstrich zu geben, was wiederum eine Konsequenz unserer exzessiven Nutzung der sozialen Medien sein dürfte (aktuelles Beispiel: die in mancher Hinsicht durchwegs ausartende cancel culture). Und in Zeiten, wo Diversity als die Losung der Stunde gilt, stehen dann eben auch Sammler nicht mehr an, ihre an einem überholten Kanon ausgerichteten Bestände entstauben und mit frischen Bildern auffüllen zu wollen: ein Bedarf, den Amoako Boafo leichthändig zu stillen vermag. Mit gefälligen Porträts, die der kulturellen Selbstrepräsentation Schwarzer Menschen ein überaus farbenfrohes Kapitel hinzufügen. Mit dekorativen Porträts, die stets das Dekorum wahren, indem sie weder den den Blicken Ausgesetzen noch den Betrachter kränken und nahezu widerstandslos in letzteren eingehen. Mit plakativen Porträts, die in ihrer Ikonizität durchaus Andy Warhols Society Portraits aufzurufen wissen, aber dann nicht nur durch ihre formale Flachheit (der gewöhnlich neutrale Fond der Bilder) deren maliziöse Hintergründigkeit deutlich verfehlen.   

Apropos Diversität: In eine rosige Welt queerer Zweisamkeit entführt uns der 1997 im russischen Archangelsk geborene Alexander Basil. Auch hier dominiert die Gattung des Porträts, genauer das immerfort um Moritz, Basils Muse, erweiterte Selbstporträt, das aber doch auch merklich in die Genreszene ausfranst. So wie vieles in dieser Malerei, scheinbar geradezu aus einem Prinzip heraus, von Ambiguität gekennzeichnet ist: Das beginnt bei der Geschlechtsidentität von Moritz, der beständig mit langem, wallendem Haar sowie in Frauenkleidern gegeben wird, setzt sich in der Uneindeutigkeit der Situationen fort, die zwischen Annäherung und Abwehr, zwischen einnehmender Zärtlichkeit und erdrückender Gewalt changieren, und endet bei der Stellung des Betrachters, der einerseits zum Voyeurismus eingeladen wird – denn ein Bild will schließlich angeschaut werden –, andererseits aber auch unmissverständlich – durch die ihn fixierenden Blicke – als Eindringling und Störenfried markiert wird. Und als wäre damit der Wirrnis noch nicht genug, lässt es sich Basil auch noch einfallen, all dies in überaus plakative Formen zu fassen: wuchtige, das Bildformat beinahe sprengende Figuren, die sich aus rundlichen, planen Segmenten zusammensetzen (und in ihrer Plumpheit an Picassos neoklassizistische Periode oder an Légers Kompositionen der 1920er Jahre gemahnen) und damit gleichsam naturgemäß nichts anderes als Klarheit und Überschaubarkeit gewährleisten sollten – doch einmal mehr werden wir in unserem instantanen Verstehenwollen enttäuscht. Denn diese Formen, diese Figuren verknäueln sich auf zum Teil unentwirrbare Weise, schieben sich ineinander und treiben letztlich so ihre Fusion voran (auch das übrigens eine Gemeinsamkeit mit Légers Figurenassemblagen aus besagter Zeit). Kurzum: Hier ist im Zwischenmenschlichen keine zweifelsfreie Identität zu erzielen, es existiert kein Ich und kein Du, kein Mann und keine Frau, kein Täter und kein Opfer. Und das ist, wo wir von den Auswüchsen der Identitätspolitik gerade wirklich drangsaliert werden, eigentlich eine rundweg schöne Sache. Und gute Kunst sowieso.

Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Die Klasse Kirsi Mikkola - Junge Malerei
05.03 - 24.04.2021

Galerie Nagel Draxler
10178 Berlin, Weydinger Strasse 2/4
Tel: +49 30 40042641, Fax: +49 30 40042642
Email: berlin@nagel-draxler.de
http://nagel-draxler.de
Öffnungszeiten: Di-Fr 14- 18


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