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Till Megerle - To be kind: Tru Stories

Der in Bayreuth geborene und in Wien lebende Till Megerle darf sich über eine Verlängerung seiner Ausstellung „To be kind“ im Grafischen Kabinett der Wiener Secession freuen. Den 13 zeichnerisch-figurativen Werken des Allroundtalents, von denen das größte 44x55cm misst, werden in den repräsentativeren Secessions Räumlichkeiten, durch die Pandemie-Umstände bedingte, neue künstlerische Kontexte als wechselhafte Kulisse hinzugefügt. Und so bilden der Formalismus der Malereien von Tess Jaray und die Gewalt sowie Produktion von Wahrheit reflektierenden audiovisuellen Installationen von Lawrence Abu Hamdan aktuell das diskursive Framework für die programmatisch in regelmäßigen Abständen präsentierten Zeichnungen des Künstlers. Das unspektakuläre, das Horizontale akzentuierende Display bedeutet aber nicht, dass Megerle ein Zombie-Formalist wäre. Im Gegenteil. Hier scheint es sich vielmehr um die Aufmerksamkeitsökonomie zu handeln, die in den 80ern weit verbreitet war. Man wollte stärker, wie hier, die Konzentration auf Inhalte lenken. Auf die Intensität der teils halluzinatorisch entstellten, fluiden Körper trifft die expressiv-symbolische Gebärdensprache der Subjekte (Freunde und Verwandte), denen eine quasi parareligiöse Ikonographie einverleibt wird.

Weiters konterkariert die einheitliche Präsentation die Anwendung unterschiedlicher Stile und Techniken (Pressetext). Aber wie ist diese zu verstehen? Medial vertrackt? Schlau ambivalent, dh. wenn Megerle sich auf Hieronymus Bosch bezieht, dann wird dieser durch Neo Rauch gefiltert – sollten Breughels im Spiel sein, dann kommt noch Kai Althoff in Frage oder vielleicht umgekehrt? Die ambivalente Stimmung wird auch in der Farbpalette eingefangen – öfters düster, manchmal melancholisch, aber immer noch lebhaft. Jede zweite von Megerles Zeichnungen offenbart einen anderen, manchmal konträren Look, so dass man sich fragt, wie weit das grotesk oder karikaturhaft Dargestellte noch biographische Wirklichkeit in Zeiten des biogenetischen Kapitalismus bezeugt und wie weit damit potenziell etwas Anderes antizipiert wird wie z.B. die Empörungen oder Rebellionen der Ungehorsamen hier und dort.

Die muffige Verdichtung einiger, in farbige Rahmung eingefasster Blätter, ruft ebenfalls stilistisch die wechselhafte Malerei von Amelie von Wulffen in Erinnerung, oder die volkstümlich überzeichneten Figuren von Anne Speier. Gemeint sind damit jene Arbeiten des Künstlers, in denen er über die deutsche Nachkriegszeitkultur im Kreis seiner Freund*innen lacanisch (traumatisch) fantasiert und ausgeschnittene Fotos collagenartig auf Papier montiert. Mit oben erwähnten Künstlerinnen teilt er auch die Liebe zu mittelalterlichen Meistern, zieht aber den katholisch-religiösen, expressiven Grünenwald dem weltlichen Humanisten Dürer vor. Oder es geht hier zwischen vielerlei Geschmacksfragen um Verrätselung des Selbst, um weitere Verschiebungen der eigenen Biographie bis zur (Selbst)Inspektion, so wie dies im Rap oder HipHop einschlägig stilisiert wird. Und die Wahrheit? Üblicherweise nur ein weiterer Look: Zeichnung oder Song.

In dieser Retro-Chiffre lauert womöglich die nächste Wiederkehr zum Abjekten in der Kunst. Weil auch Megerles Techniken – entweder nur feine Kohle Striche oder Mixed Media: Kohle, Tusche, Buntstifte und Kugelschreiber gleichzeitig auf einem Blatt und zur Entstehung enger klaustroparanoider Bildräume beitragend – umgehend ein Unbehagen provozieren. Bei einigen Körper-Kämpfen und Körper-Krämpfen seiner Akteur*Innen will man am liebsten wegschauen, um diffuser Gemütslage oder schmerzhafter Narration über vermutliche Mutter-Sohn oder Mutter-Tochter Beziehung auszuweichen. In dem Portrait „Julia und Nicola auf Acid“, das des Künstlers Freundespaar im Drogenrausch zeigt, geht es etwas unterhaltsamer zu. Der wie vor dem Sündenfall im Garten Eden mit langen gummiartigen Extremitäten, splitternackte Nicola wendet sich den schwingenden Energien eines anmutigen Baums zu, vielleicht, um sich vor den mit dem profanen und potthässlichen Reihenhaus verbundenen Erinnerungen zu schützen. Hoffentlich findet sich seine Libido damit zurecht. Julia, gekleidet in happy-marianische Farben scheint ihm Mut zuzuwinken während sich in Tony Oursler-artigen Kopf-Projektionen eine Dreierbeziehung anbahnt. Am Schluss hallen leise Zweifel im Raum nach: In der Kunst so wie in der Musik kehren nicht zuletzt bestimmte Trends immer wieder zurück. Ob sie es schaffen, zu den Doyens der Szene aufzuschließen, bleibt noch offen. Absolute Erfüllung gibt es sowieso keine.

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Der Titel der Kritik bezieht sich auf den Song „Tru“ des deutschen Rappers Cro

Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Till Megerle - To be kind
08.12.2020 - 14.03.2021

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