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Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl - Seasonal Greetings: Das Labor für den Impfstoff

Im Erdgeschoss haben sich die beiden miteinander verheirateten Queerkünstlerinnen das in der Coronazeit neu erfundene Nachstellen von berühmten Bildern, das vom Getty Museum in Los Angeles ausgegangen ist, zu eigen gemacht. Das Eismeer von Caspar David Friedrich (1823/24) haben die beiden als riesige Bühne mit eisweißen, aufgestapelten Wänden und in der Mitte statt dem sinkenden Schiff mit einem schiefen, secondhandartigen Sofa ins Gigantische aufgepoppt. Die verspiegelten Wände des Kunsthauses verlängern die Szenerie in die Unendlichkeit. Eine der Eisglaslampen aus den 1960er und 1970er Jahren hat die Form eines Coronavirus. Dabei könnte es auch eine Pusteblume sein, meint Jakob Lena Knebl.

Im ersten Stock fallen im gut mit Arbeiten bestückten Raum sofort die Selbstbildnisse von Jakob Lena Knebl als Sarah Kay auf. Einerseits niedlich wie in einem Kalender für die Kleinen, andererseits in der Tradition des künstlerischen Selbstporträts von Albrecht Dürer bis zum Selfie. Die Selbstinszenierung in einem auf riesengroß aufgeblasenen Setzkasten lässt die affirmative Funktion der Kunst bei der Stabilisierung der Identität unschwer erkennen.

Der zweite Stock wurde von Kunsthaus Direktor Thomas Trummer als „dunkler Hexensabbat“ angekündigt, wahrscheinlich ist er in der Entwicklungsphase der Ausstellung selbst der Dämonisierung des Phänomens „Hexe“ erlegen. Hier gibt es nämlich weder ein Fest der Hexen mit dem Teufel, noch eine schwarze Messe oder dergleichen mehr. Ein Hexensabbat wie die Walpurgisnacht in Goethes Faust ist sehr fern, da steht eher noch Bibi Blocksberg und „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler Pate. Die dämonischen Clowns von Cindy Sherman (2003 bis 2004) sind dagegen von existentiellerer Wucht.

Das Phänomen des Bösen, also die Verurteilung als Sündenbock mit tödlichem Ausgang, wird zwar im Text von Knebl und Scheirl angesprochen und implizit auf die Stigmatisierung der nicht heterosexuellen Norm entsprechenden Menschen übertragen, im Hexenstockwerk löst es sich aber in ein Ammenmärchen auf, das wahrscheinlich im Zeitalter von Stephen King auch die kleinen Besucher/innen des Museums kaum schrecken wird. In dieser lieblichen Szene mit Hexenhaus, Hexenlachen und zwei Papphexen, die an der Decke herumflitzen, erübrigt sich die Erkenntnis, dass jeder und jede Böses und Gutes in sich trägt, und damit kein Mensch als Projektionsfläche des absolut Bösen bis zur Vernichtung sozial geächtet werden dürfte. Die Szenerie ist ganz in grünes Licht getaucht. Kein politisches Statement natürlich, aber auch keine existentielle Befragung der Wahrnehmung wie sie einst James Turrell in der Eröffnungsausstellung des Bregenzer Kunsthauses 1997 platziert hat, indem er außen das ganze Haus am Bodensee leuchten ließ und innen in einem blauen Licht die menschlichen Sinne an die Grenzen brachte

Der dritte Stock trägt den Titel „Labor“. Hier könnte man auf Hochdruck am Impfstoff gegen Corona arbeiten. Aber nein: in dieser „Hexenküche“ werden die Covid 19-Hygienevorschriften und klinische Reinheit der Wissenschaft selbst auf den Arm genommen, wenn sich gleich im Eingang ein Haufen brauner Exkremente auftürmt. Menschliche Körperteile oder künstliche Prothesen beherrschen den Raum. Von Herzschrittmacher bis Handy - konstatiert Scheirl - werden immer neue Distanzierungstechnologien entwickelt. Das ehemals postmoderne Selbst hat gelernt, sich soweit von sich selbst zu distanzieren, dass eine sowieso geleugnete geistige Essenz kaum mehr wahrgenommen wird oder gar stört.

Die Stärke der beiden Künstlerinnen liegt sicherlich in der kulturgeschichtlichen Expertise - von Hexenprozessen über die Zeit des Vormärz bis hin zu den Cyborgs der Gegenwart. Ihre Aktie geht jedenfalls durch die Decke. Das queere Ehepaar steht selbst-bewusst in farbigem Dresscode auf dem Cover der diesjährigen Trend-Ausgabe zu den 100 besten Künstlern Österreichs, Ashley Hans Scheirl auf Platz 21 vor Elke Krystufanek und Jakob Lena Knebl auf Platz 27 noch vor Peter Weibel, Tendenz bei beiden stark steigend. Bekanntlich werden sie auch den Pavillon auf der Kunst-Biennale in Venedig 2022 bespielen, hoffentlich gehen sie dann mehr in die Tiefe.

Mehr Texte von Wolfgang Ölz

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Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl - Seasonal Greetings
12.12.2020 - 05.04.2021

Kunsthaus Bregenz
6900 Bregenz, Karl Tizian Platz
Tel: +43 5574 48 594-0, Fax: +43 5574 48 594-8
Email: kub@kunsthaus-bregenz.at
http://www.kunsthaus-bregenz.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr


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