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Julije Knifer - Kompromisslos: Stilovi radikalne volje

„Innerhalb einiger Monate bin ich sozusagen zum Ende gekommen, also zum schwarz-weißen Bild (das ich Antibild genannt habe) und zum Mäander, von dem aus es einfach nicht mehr weitergeht.“ (Julije Knifer, „Zapisi“, dt. Notizen, 1976-1977)

In Kooperation mit dem Museum für zeitgenössische Kunst (MSU) Zagreb und kuratiert von Radmila Iva Janković macht die Neue Galerie Graz am Universalmuseum Joanneum einen thematischen und gleichzeitig achronisitischen Abriss der Arbeiten des kroatischen Künstlers Julije Knifer (1924-2004) zugänglich. 1959 wirkte dieser an der neu gegründeten Künstlergruppe Gorgona in Zagreb mit. 1960 entstehen die ersten Bilder mit dem Motiv des Mäanders. 1971 arbeitet Knifer am ersten Mural im öffentlichen Raum auf der Fassade der Grundschule in der Kleinstadt Vrapče in der Nähe von Zagreb. Diese sollten immer großflächiger werden, bis er am 6. Juni 1975 in einem Steinbruch in Tübingen einen Mäander der Größe 20 x 30 m fertigstellt, dessen Arbeitsprozess auf Film und Foto dokumentiert wurde. 1981 beginnt Knifer mit Graphitstift an großformatigen Zeichnungen zu arbeiten. 1993 nimmt er an einigen wichtigen Gruppenaustellungen teil wie der „The horse who sings: Radical Art from Croatia“ im Museum für zeitgenössische Kunst in Syndey oder der „Noir dessin“ im Grafikkabinett am Museum für moderne Kunst Centre Georges-Pompidou in Paris.

„Der einfachste und einprägsamste Rhythmus ist eigentlich die Monotonie.“ (Julije Knifer)

Knifers Arbeiten orientieren sich zum einen an der Harmonie (Vgl. Musik) wie auch an den Avantgarden der 1950er-und 60er-Jahre, die er inklusive des Raumes, den er immer mit zu denken scheint, neu verhandelt. Dabei treten Rahmungen auf und nicht, Mäander ziehen sich in die Ecken ein, sind stets akribisch komponiert. Knifers Duktus schiebt das Motiv der Gewichtung wie auch das der Neigung in den Mittelpunkt. Dabei stellt er u.a. die Frage nach dem „Verhältnis des Künstlers zu seinem Werk“ (Tübingen, 1975). „Mäander (Entwurf für ein Wandbild)“ (1960) ist eine Skizze und findet sich gegenüber einer Auswahl an Variationen seiner „Kompositionen“ (1959/60) und neben einer Reihe „Selbstporträts“ (1949-1952). Unweigerlich fühlt man sich an Wassily Kandinksy erinnert, an dessen „Punkt und Linie zur Fläche“ (1926) und an Kasimir Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ (1915), wenn Knifer das Weiß als eine „Leerstelle“ und als ein konstituierendes Moment in seine Werke einführt. Während „Maske“ (1955) noch Anleihen an Pablo Picasso zu nehmen scheint, erzählen die streng formalisierten und bunt gestalteten „Tagebücher“ (1975-2003) eine andere Geschichte.

„The New Art Practice is a term created for a generation of artists active in Yugoslavia the late 1960s and the 1970s. These artists shifted their practices from the traditional studio to city streets and artist-run spaces, creating multimedia performances and experimental publications. New Art Practice artists like Goran Trbuljak, Braco Dimitrijević, Sanja Iveković, Mladen Stilinović, and Vlado Martek worked in a variety of mediums, and they shared a tendency to use of books as a possible venue for their work. These artists questioned and played with the conditions of art making, introducing a philosophical consideration of the place of the artist in this particular political and socioeconomic context. The resulting projects often involved public participation, and authorship of works was further blurred through the activities of collective groups, the use of chance operations and the appropriation of language and imagery from the state and commercial media.“, heißt es bei David Senior anlässlich der Ausstellung „Scenes from Zagreb: Artists’ Publications of the New Art Practice“ (12.12.2011-17.2.2012, MoMA). „Josip Vaništa was the publisher of the ‚anti-magazine‘ Gorgona, one of the products of the Gorgona group, active in Zagreb from 1959 to 1966. The loosely organized collective of artists and writers, which included, among others, Dimitrije Bašičević (Mangelos), Julije Knifer, Ivan Kožarić, and Radoslav Putar composed works, events, and performances. Severely opaque in intention and minimal in format, each issue of Gorgona features the work of one artist. Though it did not directly influence the artists’ publications of the New Art Practice, Gorgona is significant in the international scene of Conceptual artists’ publications of the 1960s and provides a historical context for publications produced in Zagreb several years later.“ Knifer gestaltete 1961 die 2. Ausgabe. „Die Reduktion wird sichtbar, indem jede Allusion auf die gegenständliche Welt aufgegeben wird“, heißt es bei Zvonko Maković im Katalog zur Ausstellung.

Als ein Künstler seiner Zeit, reiht er sich zum einen bewusst an die Vorläufergeneration und referenziert schamlos kunsthistorische Positionen, um sich kompromisslos (Vgl. Titel der Ausstellung) eben diesen Traditionen zu widersetzen – sie vielmehr weiter zu denken, neu zu interpretieren. Die Linie als Motiv erhält auf diese Weise eine zusätzliche Bedeutungsebene, ähnlich dem Schatten, der in Knifers Werk eine ebenso zentrale, wenn auch nicht eindeutig ersichtliche Rolle spielt. Weiters: A-Tonalität im Ausdruck, kontextualisiert durch Gorgona und die Moderne und die Frage nach der Positionierung, die Notwendigkeit der großen Geste und die Konsequenz in den Arbeiten, denen in der Ausstellung viel Raum gegeben wird. Ab den 70er-Jahren schleicht sich Farbe in Knifers Œuvre und man fühlt sich angesichts eines „MNB“ und „MZ 01“ (1970) wieder erinnert, diesmal an Yves Klein und dessen unbändiges Blau. Ein Handkuss für den Meister, wenn sich die Bildfläche zum Raum hin öffnet und Raum mittels Weiß in die Bildfläche implementiert wird.

Immer schon behaftet mit dem Gefühl der Endzeitstimmung inspirierte Marcel Duchamps Kunst, gerade weil sie diesen Hauch des vordergründigen Nihilismus und der Indifferenz von Kunst und Nicht-Kunst stets als Banner vor sich trug, zum Einschwenken auf eine Ära vom Ende der Progression, ein Neuanfang mit ironisch markanten Untertönen. Von der Nachkriegsmoderne wird als Erstes der subjektive Ausdruck der Künstlerpersönlichkeit hinterfragt. Bezeichnend sind Gesten wie jene von Robert Rauschenberg, der 1953 eine Zeichnung von Willem de Kooning, dem seinerzeit führenden Kopf des Abstrakten Expressionismus, ausradierte und sie als „Erased De Koonig Drawing“ ausstellte. Vergleichbaren Aktionen begegnet man in Europa. Georges Mathieu produziert sich vor Publikum in abstrakten Schnellmalereien und Jean Tinguely fabriziert Mal-Maschinen. Der expressive aktionistische Schaffensprozess, jüngst von Jackson Pollock erst entfacht, und der Künstlermythos, von ihm (und den Printmedien) gerade mal zu neuen Ehren gebracht, werden hinterrücks wieder attackiert und radikal verabschiedet. An Ironie kaum zu übertreffen ist hierbei Piero Manzonis „Merda d’Artista“ (1961). In kleinen Dosen verpackt er seine Exkremente und bietet sie, fein säuberlich beschriftet und den Preis pro Gramm nach Gold berechnend, zum Verkauf an. Etwa gleichzeitig erklärt Yves Klein den blauen Himmel, den er bereits 1949 in einem rituellen Akt signiert haben soll, zu seinem ersten Monochrom. 1958 stellt er in der Ausstellung „Le Vide“ in der Pariser Galerie Iris Clert die leeren Galeriewände aus. Arman macht das Gegenteil und füllt den Ausstellungsraum bis oben hin mit seinem Kunst-Müll („Le Plein“, 1960). Auch Claes Oldenburg fertigt Müll-Skulpturen und wandelt sein Atelier schließlich in eine dem musealen Ausstellungsbetrieb karikierende Ladengalerie um, wo Fundstücke und von ihm nachgeahmte Gebrauchsartikel konsumgerecht in Regalwänden präsentiert und verkauft werden. Die Liste solch provokanter bis skurriler Aktionen ließe sich beliebig erweitern. In den 60er-Jahren erhöht sich nochmals die Zahl derer, die aus dem Fahrwasser der Moderne ausscheren. Das verbindende Element all dieser Kunstrichtungen ist das Bedürfnis und das Bewusstsein um die Notwendigkeit, die Kunst neu zu bestimmen. Alternative Zugangsweisen zum Phänomen Kunst werden eröffnet und plötzlich, als ob man einen Schussstrich zieht angesichts der Definitionslosigkeit von Kunst, sieht man sich als Betrachtender als diejenige Instanz, die Kunst im Eigentlichen erst authentisch macht. Yves Klein, Jackson Pollock, John Cage und die Gutai-Gruppe haben in den 50er-Jahren den Weg für eine neue Form der Ästhetik geebnet. Nicht das Resultat, sondern die Entstehung des Werks tritt in den Mittelpunkt.

Labyrinthisch erscheinen Knifers Arbeiten, trotz formaler Strenge. Sein Denken in Form(ation)en geht in den 90er-Jahren in Graphitstift auf Papier über und in ein Strukturieren von Miniaturen, in ein Erzeugen von sich andersartig darstellenden Wellenbewegungen. Knifers Werktiefe findet damit eine nochmalige Steigerung. Der Untergrund schimmert durch. Dessen Beschaffenheit führt zum Thema der Materialität und dessen Verhältnismäßigkeit. Die Arbeiten sind selbstreflexiv, wie in dem einzigen Audiobeitrag der Ausstellung deutlich wird. Der darauf eingesprochene Text stammt von seiner Tochter Ana Knifer. Darin wird vor allem die Zeitlichkeit und der Aspekt, sich als Teil der Geschichte zu verstehen, besprochen. Dabei tritt immer wieder die Bewegung als wesentlich in den Vordergrund, und das Vanitas-Motiv, die Auseinandersetzung mit Kunstgeschichte sowie der eigenen Kanonisierung. „Überlebensgroß“ ist die Involviertheit des (Künstler)Körpers als gleichsam kollektivistischer Körper, der Arbeitsprozess das eigentliche Motiv. Sich über die Erde bewegen, also! Spuren hinterlassen. Es ist ein Gefälle, diese (Fort)Bewegung, so scheint es bei Knifer, ein Streben in „Ruhe“ bei konsequenter Formelhaftigkeit seiner künstlerischen Position. „Friedrich Hölderlin – Der Rhein“ (1984) mit einer Linolschnittfolge von Knifer zeigt seinen Fluss an, seine metaphorische Sprache. Hieraus bezieht er seine Identität, Monochromie und (In)Stabilität sind deren Charakteristika. Seiner Linie bleibt er kompromisslos treu. „Alles folgt[e] einer stabilen, inneren Logik.“ (Jilije Knifer)

Titel (dt.): Gesten radikalen Willens (Vgl. Susan Sontag, 1971)

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Noch bis zum 27. August ist im MUWA - Museum der Wahrnehmung die Ausstellung Julije Knifer - Anti-Malerei zu sehen.

Mehr Texte von Bettina Landl

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Julije Knifer - Kompromisslos
08.12.2020 - 22.08.2021

Neue Galerie Graz
8010 Graz, Joanneumsviertel
Tel: +43 316 8017-9100
Email: joanneumsviertel@museum-joanneum.at
http://www.neuegalerie.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-17 h


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