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11. Berlin Biennale - VerRISSen

Unter dem Titel „Der Riss beginnt im Inneren“ ist jetzt die 11. Berlin Biennale, kuratiert von Maria Berrios, Renata Cervetto, Lisette Lagnado und Agustin Pérez Rubio, gestartet. Der von jedweder Theorie befreite, aber pathetisch-antikapitalistische Begleittext der Vier gibt das Leitthema u. a. so vor: „’Der Riss beginnt im Inneren’ verneigt sich vor der solidarischen Verletzlichkeit der Heilenden und Fürsorgenden, der Kämpfenden, vor ihren Frakturen und ihrer Macht“. Damit ist klar, dass es hier vor allem um „brüchige“ Gefühle geht, um Verzweiflung und Angst, um Gebrochenheit und Schmerz. Und um Menschen, die solch emotionale Erfahrungen angesichts des „patriarchalen Kapitalismus“ machen bzw. gemacht haben. Somit ist aber auch klar: Der Identitätspolitik ist es hier einmal mehr gelungen, politische Kunst als eine zu denken, die wieder an Subjekte glaubt, nicht aber politische Strukturen reflektiert. Die (bürgerliche) Kunstwelt wird es mögen.

Die Themen der 11. Berlin Biennale liegen auf der Hand: Corona, Postkolonialismus und Feminismus. Wichtige Themen sicherlich, dass aber die weltweit desaströse Klimakatastrophe wieder einmal so gut wie ausgespart bleibt, zeigt, dass Dringlichkeit sich hier auch aus den Moden des Diskurses begründet, nicht nur aus tatsächlicher Notwendigkeit. Überwiegend Künstler aus Südamerika nehmen dann diese Themen in Angriff, mit Arbeiten, die brav allen Regeln heutiger Kunstwarenproduktion gehorchen. So sind an den über die Stadt verstreuten vier Ausstellungsorten KunstWerke, DAAD, Gropius-Bau und ExRotaprint Installationen, Skulpturen, Bilder und Videos zu sehen. „Dematerialisierte“ (Lucy R. Lippard) Kunst, wie z. B. künstlerischer Aktivismus, der gerade in Südamerika eine lange Tradition hat, oder konzeptuelle Kunst dagegen sucht man so gut wie vergebens.

Expressive Betroffenheit, immer wieder fast schon theatralisch Leidendes und zuweilen Engagiert-Politisches geben bei der 11. Berlin Biennale den politisch-korrekten Ton an. Etwa bei Pedro Moraleida Bernardes posthum realisiertem Anti-Kirchen-Kreuz aus dessen Werkserie „Sixtinische Kapelle“, in der u.a. sexualisierte Gewalt verhandelt wird. Oder bei den von der Decke hängenden goldenen Skulpturen von Andrés Pereira Paz, die in filigraner Linienführung Vogelmotive der indigenen „Andenbevölkerung“ nachzeichnen, um so auf die Verbrechen des Kolonialismus hinzuweisen. Poetisch ist so etwas vielleicht, wirklich politisch aber sicher nicht. Mariela Scafati schließlich begrüßt die Besucher*innen in den Berliner KunstWerken mit ihrer Installation „Mobilisierung“, 2020: 65 verschiedenfarbige klappbare Bretter liegen dort auf dem Boden, manche flach am Boden, andere aufgeklappt, gleichsam „aufrichtig“. Die Bodenarbeit stehe als konkrete Metapher für die Notwendigkeit, gerade angesichts von Corona, „mobilisiert“ aufzustehen. Leider finden sich platte Sinnbilder wie diese immer wieder in der Ausstellung, die sich übrigens koketterweise als „Epilog“ versteht, um die Vorbereitungszeit der Berlin Biennale mit ihren Präsentationen in den Räumen von ExRotaprint aufzuwerten und sich so von dem Eventcharakter einer Großveranstaltung zu verabschieden – ein gut gemeinter, aber letztlich peinlicher Versuch, der, wie so oft üblich bei Identitätspolitik, im bloß Symbolischen sich erschöpft.

Sehenswert aber sind auf der 11. Berlin Biennale die ausgewählten Exponate des chilenischen „Museo de la Solidaridad Salvador Allende“, z. B. Gracia Barrios‘ wandfüllendes Bild „Multitud III“, 1972. Auf zusammengenähten Stoffstücken ist gleichsam in einem „agitpopigen“ Stil eine demonstrierende Menschenmenge hinter einer chilenischen Flagge zu sehen, Solidarität mit Chiles sozialistischen Präsident Salvador Allende bekundend. Zumindest hier zeigt politische Kunst, dass sie mehr kann als ach so betroffen den in der Tat katastrophalen Zustand der Welt (psychologisierend) zu betrauern.

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11. Berlin Biennale
Bis 1. November 2020
-->Website 11.berlinbiennale.de

Mehr Texte von Raimar Stange

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