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Siniša Ilić - Un_kontrollierte Territorien: Territorien im Wandel

Mit seiner ersten Einzelausstellung im deutschsprachigen Raum erprobt der serbische Künstler Siniša Ilić im Kunstraum Innsbruck, wie Kartografien über die Jahrzehnte einem politischen Wandel unterlagen, der auch auf gegenwärtige Pandemieszenarien seine Auswirkungen nimmt.

Die Ausstellung wurde aufgrund der Covid-19 Bestimmungen per Videoinstruktionen installiert und resultiert aus den Vorbereitungen, die Ilić im März abbrechen musste, um sich nach seiner Rückkehr nach Belgrad – anders als im Schengenraum – in eine einmonatige Quarantäne zu begeben, in der er einer strengen Polizeikontrolle ausgesetzt war. Diese Erfahrungen setzte der interdisziplinär arbeitende Künstler in einer Reihe von Zeichnungen auf einer Wand im Eingangsbereich um, die gleichzeitig die Sicht auf den Raum blockiert und für jede Art von Trennlinien steht, die uns tagtäglich umgeben. Der Fokus liegt hier einerseits auf einer Reihe von Maskenträger*innen, aber auch auf Kleidungsstücken, die in leeren Kaufhäusern zurückgelassen wurden und eine Konsumgesellschaft ohne Konsument*innen repräsentieren.

Im Hauptraum zu sehen ist ein hundert Quadratmeter großer Quilt als digitaler Stoffprint, der 2017 in Anlehnung an 100 Jahre Russische Revolution entstand und den Ausgangspunkt eines Performanceprojekts mit dem Belgrader Theatermacher Bojan Djordjev darstellt. „Orientation in 100 Revolutions“ nennt sich auch jener Text zu diesem Projekt, den Djordjev als Performance vortrug und der auf 100 revolutionsartige Phänomene sowie Aufstände seit 1917 verweist, die bis zur Black Lives Matter Bewegung reichen und auch auf den aktivistischen Roman von Oskar Davičo „Das Gedicht“ (im Deutschen übersetzt als „Die Libelle“) aus dem Jahr 1952 rekurrieren. Neben dem Video zu dieser Performance ist eine zweite Dokumentation zu sehen, bei der der Quilt im Vorfeld der Ausstellung als Aktion am Kaunertaler Gletscher ausgebreitet und per Drohne gefilmt wurde. Während am Quilt symbolisch unterschiedliche kontinentale Driftbewegungen bzw. jene Brüchigkeit von Territorien in politischer Hinsicht ausgemacht werden können, verweist das Video auf jene Gletscherveränderungen, die zukünftige Kartografiemodelle beeinflussen werden.

Als Teil jener revolutionären Befreiungstendenzen gilt auch die Bewegung der Blockfreien Staaten, die 1961 in Belgrad ihren Ausgang nahm und die Ilić in der Video- und Rauminstallation „Without a Proposition for a Concrete Solution“ (2016) referenziert. Hier ist es wieder das Moment der Zeichnung als performatives Element, das der Künstler einsetzt, um die verschwimmenden Grenzen Europas, Afrikas und Asiens zu skizzieren, Kontinente, in denen blockfreie Staaten angesiedelt waren. Als Anlass zu diesem Projekt diente eine Postkarte aus den 1970er Jahren, die an den Vater des Künstlers von einem Freund aus Ägypten in gebrochenem Serbokroatisch geschrieben wurde. 

Performative Aspekte als Ausdrücke körperbezogenen Handelns finden sich in zwei Videos wieder, die jeweils in Museen gedreht wurden. Der mit SchauspielerInnen arbeitende Künstler, der 2000 auch die Gruppe TkH (Walking Theory) mitbegründete, nähert sich einmal dem Museum Afrikanischer Kunst in Belgrad an, in dem ein Performer Werkzeuge aus der Sammlung untersucht und sich die Frage nach den unendlichen Ressourcen dieses Kontinents stellt, der stets im Fokus ausbeuterischer Tendenzen steht. „Waste“ wurde mit zwei PerformerInnen 2018 im ehemaligen Museum zeitgenössischer Kunst in Rijeka gedreht, das vor dem Umzug stand und in dem sich Momente der Leere breitmachten, die Rekurs auf die Veränderungen in der Stadt in einem postindustriellen Zeitalter nehmen.

Ilić verhandelt in seinen Arbeiten die konstanten Veränderungen, denen das postmoderne und postindustrielle Subjekt ausgesetzt ist, das einen ständigen Verlust von Landkarten erfährt und repetitiv einem krisenbedingten Richtungswechsel unterliegt, der künstlerisch in einen performativen Gestenkanon mündet. 

Mehr Texte von Walter Seidl

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Siniša Ilić - Un_kontrollierte Territorien
15.08 - 10.10.2020

Kunstraum Innsbruck
6020 Innsbruck, Maria-Theresien Strasse 34
Tel: +43 512 58 4000, Fax: +43 512 58 4000-15
Email: office@kunstraum-innsbruck.at
http://www.kunstraum-innsbruck.at
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 13-18, Do 13-20, Sa 10-15 h
Feiertage geschlossen


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