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Linda Bilda - Amor vincit omnia: Eine Künstlerin, die sich selbst nicht genügte

Mit dem Begriff der Provokation lässt sich die künstlerische Praxis Linda Bildas nicht erklären. Nichtdestotrotz war die in ihren späten 50ern überraschend verstorbene Wiener Künstlerin und Aktivistin (1963-2019) in heimischen Kunstmilieus eine Ausnahme-Erscheinung, die zwischen Punk-Anarchismus und Kreativwirtschaft einen Weg zur Selbstermächtigung suchte. 2011 erhielt Bilda vom Bundesministerium den outstandig artist award für ihr zwischen künstlerischen und ökonomischen Domänen oszillierendes Œeuvre.

In der post-ideologischen Ära der westlichen Demokratien der 1990er und 2000er Jahre, in der Phase des forcierten Globalisierungsschubs, als auch in der bildenden Kunst immer kritischere Debatten über Feminismus, Ökonomisierung der Lebensbereiche, Managementkultur, Postkolonialismus und Arbeitslosigkeit geführt wurden, glaubte Linda Bilda immer noch an die Effizienz des avantgardistischen Impetus der Künste (sie war überzeugte Postsituationistin) und sein Potenzial zur nachhaltigen Weltveränderung. Worauf sie auch besonderen Wert legte waren etwa kollektive Selbstorganisationsformen, Netzfeminismus und weiblich codierte Produktion sowie möglichst breite öffentliche Resonanz auf ihre politischen Inhalte, auch außerhalb der zahlenmäßig beschränkten Kunstcommunity. 1991gründete sie das erste österreichische Fanzine namens Artfan (mit Ariane Müller) und etwas später den legendären Kunstsalon Art-Club. Obwohl Bilda eine begeisterte Malerin war, umfasste ihr künstlerisches Repertoire ein breites Spektrum von kontextuell angewandten Praktiken: Von schnippischen Aktionen (noch als Studentin) und Performances über die Herstellung von eigentümlichen Comics und Projekten bis zum innovativen Leitsystem im öffentlichen Raum, ausgeführt im sogenannten Nichtort, in einer männlich konnotierte Autogarage in Wien, wo sie die Parkplätze für Frauen zeichnerisch mit lustvollem Esprit hervorhob. Mit gleichem Engagement wie auch Humor betätigte sie sich zugleich als Erfinderin, Unternehmerin und Marketingfrau der von ihr patentierten Designtechnik LightGlass, die mehrmals international ausgezeichnet wurde.

Linda Bildas posthume Retrospektive im Linzer Lentos Amor vincit omnia wirbt auf der Einladungskarte und dem Katalogcover mit einem auffallenden, weil von keiner noblen Blässe getragenen Motiv eines weiblichen Gesichts, in dessen ausdrucksstarke Oberflächengestaltung eine optimistische Text-Botschaft The feminine Sex will be totally free elegant integriert wurde. Die Verflechtung von Bild, Text und Licht versuchte Bilda immer ausgefeilter zu perfektionieren, so dass sich die jeweiligen einzelnen Komponenten zu einem mehrdeutigen, durch historisches Wissen und zahlreiche Referenzen bereicherten, grenzenlosen Kompendium zusammenfügten. Wunschgedanken, kritische Überlegungen und gleichzeitiges Zweifeln am politischen Status Quo, am Kunstbetrieb und der Rolle der Frau als Künstlerin in der neoliberal-kapitalistischen Gesellschaft überfielen die Wienerin nämlich zunehmend im Laufe ihrer Karriere, was die Kuratorin der aktuellen Ausstellung Hemma Schmutz dazu bewegte, ihr Schaffen unter den Begriff der „emanzipatorischen Bildpolitik“ zu subsumieren. Die Ausstellung im Lentos bietet für die polymorphe Vision der Künstlerin mehrere ausgewählte Beispiele in Form von Comic-Serien, Plakazinen, einem Caro Diario und Dokumentationen der sozial gefärbten Werke im öffentlichen Raum (z.B. Arbeite nie) zur Einsicht.

Das Herzstück der Show bildet aber das Re-enactment Bildas einziger institutioneller Einzelausstellung zu Lebzeiten im Salzburger Kunstverein im Jahre 2009 mit einem aus heutiger Sicht prophetischen Titel: Zukunft und das Ende der goldenen Welt. Also 10 Jahre vor der Vollbremsung der Mobilität, der Wirtschaft und des Soziallebens feierte die österreichische Allround Künstlerin hier in teilweise schaurig-romantischen Licht- und Schattenprojektionen, mit Plexiglasskulpturen sowie Wandmalereien ihre ausgefallene Designtechnik mit transparenten Glasintarsien und inszenierte sie zur sensuellen Hülle bzw. einer para-metaphysischen Trance mit offenem Ende. Inmitten raumgreifender Opulenz positioniert sich hier zentral ein leerer Tisch mit sieben Stühlen und der dahinterstehende Plot handelt von der Vergabe eines Erbes an das gewinnträchtigste Unternehmen. Was man am Beispiel dieser, die Wahrnehmung schärfende und wie eine mittelalterliche Kapelle wirkende Installation gut beobachten kann, ist, dass die Kunst samt ihrer vielfältigen ästhetischen Mittel risikoreich und vor allem undogmatisch in einen politischen Kampf situationistisch eingebunden werden kann. Zu dieser Kunst-Strategie greifen zunehmend auch Vertreter*innen der heutigen Bewegungen, die sich von tradierten politischen Kräften nicht wirksam genug repräsentiert fühlen.

Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Linda Bilda - Amor vincit omnia
08.12.2020 - 07.03.2021

Lentos Kunstmuseum Linz
4020 Linz, Ernst-Koref-Promendade 1
Tel: +43 70 7070 36 00
Email: info@lentos.at
http://www.lentos.at
Öffnungszeiten: täglich außer Mo 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr


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