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Farbenlehre

1962, in jenem Jahr, in dem auf erstaunliche Weise greifbar wurde, dass es vorbei war mit dem Modernismus, erschien neben der ersten Beatles-Single und Enzenbergers Aufsatz über die "Bewußtseinsindustrie", neben Habermas` Diktum vom "kulturkonsumierenden Publikum" und Thomas Kuhns "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" auch das Gründungsbuch der ökologischen Bewegung. Rachel Carsons "Der stumme Frühling" machte die Nebeneffekte der Wohlstandsgesellschaft zu ihrem Hauptprodukt und die Umwelt zum neuen, mit Kuhn zu reden, Paradigma. Die Lieblingsfarbe der Postmoderne wurde grün. Doch jetzt feiert der Modernismus fröhlichste Urständ. Nach dem Willen des neuen, uralten Souveräns, einem EU-Kommissar, der auf den schönen, New-Wave gestählten Namen David Byrne hört, müssen die Zigarettenschachteln nicht nur auf 40 Prozent der Packungsgröße aufgeblasene Warninschriften tragen, sondern sich auch in das Mäntelchen neuer Bezeichnungen hüllen. Umbenennungen waren von jeher Zeichen großer geschichtsmächtiger Bewegungen, hießen ihre Leitfiguren Lenin, Stalin oder Helmut Kohl. Nach Birne Kohl nun also Byrne David (sorry, aber manchmal muss man zur dümmsten aller Verdammungsmethoden greifen und sich an den Namen vergehen; Byrne macht es ja auch nicht anders). Dem Brüsseler Orakel gemäß purzeln seit dem 1. Oktober die Adjektive. Dass manche Zubereitungsarten von Tabak nicht zu Leichtigkeit führen, sondern nur zu einer anderen Art von Gift, das soll nun unmissverständlich werden. Die Camel Lights werden also umetikettiert zu Camel Blue. Die Memphis Light heissen jetzt Memphis White. Und die West Lights erstehen neu als West Silver. Statt einer Quantität steht nun eine Qualität im Namen. Farben sind das neue Gewicht. Und es fällt auf, dass diese Farben allesamt für die vergangene Epoche stehen. Weiß, das war Purismus, White Cube und Reinwäscherei vom schlechten Gewissen des Totalitarismus. Blau, das war Raumfahrt, der Zug ins Unendliche und Yves Klein (der übrigens 1962 starb). Silber, das war schließlich Immaterialität, Zero und der heilige Hunger nach Edelmetall. All das jedenfalls war Modernismus. Nun kann man all das offenbar wieder brauchen. Ist keiner auf die Idee gekommen, etwa Marlboro Green auf den Markt zu werfen? Oder wie wäre es mit Ernte 62? Die Bewußtseinsindustrie der Tabakhersteller findet das, was damals geschah, anscheinend nach wie vor gut und hofft darauf, dass die drei Farben Weiß, Blau und Silber ein positives Gefühl auslösen. Byrne dagegen ist ein abgefeimter Postmoderner. Er glaubt an die abschreckende Wirkung des Modernismus. Womöglich kann man ihm in diesem einen Punkt sogar folgen.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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