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Kader Attia - 2009:2019 Films: Vom Heilen des Unheilbaren

Filme der Jahre 2009 bis 2019 des französischen Künstlers Kader Attia sind derzeit in der Galerie Krinzinger zu sehen. Attia, Kind algerischer Einwanderer, setzt wie kaum ein anderer die (blutenden) Schnittstellen des Kolonialismus, des Rassismus, der körperlichen Versehrtheit im Zusammenprall zwischen Orient und Okzident künstlerisch um. Die Installation der documenta 13 mit dem Titel „Repair from Occident to Extra Occidental Culture“ 2012 zeigte seinen intellektuellen Kosmos. Hier bei Krinzinger werden ähnliche Themen aber in filmisch-narrativen Sujets verhandelt.

Die Idee des „Repair“, des Reparierens von Schäden an Gegenständen und Menschen zeigt sich in der Zweikanal-Diaprojektion „Open Your Eyes“ aus dem Jahr 2010. In dem Film sind Veteranen des Ersten Weltkriegs mit notdürftig am Kriegschauplatz zusammengeflickten Gesichtswunden sowie den später mehr oder weniger verheilten Wunden zu sehen.

Angesichts der grausigen Abfolge von Versehrten stellt sich der Betrachter die Frage, wie man mit solchen Entstellungen weiter leben kann. Daneben setzt Attia Fotografien von sichtbaren Reparaturnähten auf Keramiken und Stoffen. Die Tonarbeiten stammen aus Afrika und sind zum Teil älteren Datums. Die Arbeit des Heftens, des Sichtbarwerdens der Nähte beschäftigt Attia. In einem Interview entwickelte der Künstler eine Art Geschichte der Reparatur. Dabei erläutert er, dass der Mensch danach strebt Beschädigungen so zu korrigieren, dass sie nach außen nicht sichtbar werden. Dieses Kaschieren einer Wunden ist im Kriegsfall und auch bei Kolonisationsprozessen nicht mehr möglich. Die Folgen von Brutalität und Grausamkeit liegen offen da.

Kader Attia ist ein zutiefst soziopolitischer Künstler mit einer starken individuellen und kollektiven psychoanalytischen Fragestellung. Die Idee des „Repair“ trieb er 2016 mit dem Film „Reflecting Memory“ weiter. Darin interviewt er Betroffene, Psychologen und Mediziner zu dem Phantom-Limb-Syndrom, dem sogenannten „Phantomschmerz“ von Menschen mit amputierten Gliedmaßen. Das fehlende Bein, das noch immer schmerzt wird mittels Spiegel sichtbar gemacht und der Protagonist kann sich somit langsam von der fehlenden Gliedmaße verabschieden. Attia fotografierte Menschen die mit dieser imaginären Bild-Spiegel-Prothese posieren und sich langsam von dem traumatischen Verlust lösen. Dazu interviewt er Traumatherapeuten, die über Schockerlebnisse wie Explosionen und Kriegsverletzungen sprechen.

Ebanfalls etwas ältere Arbeiten sind die „Collages“, von 2011 bis 2012. Attia, selbst in den Banlieues von Paris aufgewachsen, interviewte dort algerische Migrant*innen und deren Kinder, die als Transsexuelle leben und marginalisiert wurden. Er konzentriert sich auf den Wandel des Geschlechts, das Spielen mit dem Wandel und auch den dadurch einsetzenden soziale Umbruch. Er dehnte diese Expeditionen bis nach Indien aus und interviewte die dortigen Hijras, die zwischen Priestern und Parias rangieren. Besonders traurig erzählt ein Protagonist von der Verstoßung durch seine Familie. Die Mutter hingegen hält weiterhin zu ihm heimlichen Kontakt. Die Tragik und Grazie dieser changierenden sexuellen Identität fängt Kader Attia sehr gekonnt ein.

Ein Zentrales Werk in der Ausstellung verweist wie die schon erwähnte Diaprojektion „Open Your Eyes“ ebenfalls auf die koloniale Versehrtheit Afrikas: Ein großer Leuchtkasten mit einer Fotografie Fußball spielender Kinder vor einem römischen Torbogen ist im Eingangsbereich der Galerie zu sehen. Das römische Tor aus Rom, dessen Steine bis über die Sahara ins heutige Algerien geschleppt wurden, dient als Fußballtor den ortsansässigen Jugendlichen. Die algerischen Kinder bedienen sich eines ebenfalls kolonialen Sports – dem Fußball – um ihr Territorium zurück zu erobern. „History of Reappropriation“, 2010, heißt diese Arbeit und beginnt oder beschließt diese Ausstellung von Video-Arbeiten von Kader Attia in der Galerie Krinzinger.

Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Kader Attia - 2009:2019 Films
29.10 - 11.12.2019

Galerie Krinzinger
1010 Wien, Seilerstätte 16
Tel: +43 1 513 30 06, Fax: +43 1 513 30 06 33
Email: krinzinger@galerie-krinzinger.at
http://www.galerie-krinzinger.at
Öffnungszeiten: Di-Fr 12-18, Sa 11-14 h


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