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Das Ende des Verblendungszusammenhangs

Greta Thunberg und die Bilder 

Greta Thunberg wird von den Rechtspopulisten verspottet. Sie fürchten ihre Reden, ihre Wirkung, ihr Charisma, das rasche Anwachsen ihrer Anhängerschaft. Sie fürchten die Umkehrung der Belehrung, in dem nicht die Alten die Jungen, sondern die Jungen die Alten unterweisen. Sie fürchten eine Botschaft, die die Welt als Ganzes ins Auge fasst und den behaupteten Vorrang nationaler Gemeinschaften blass aussehen lässt. Sie fürchten die Unschuld und die Endzeitvisionen, mit denen Thunberg das Bild bevorstehender Bedrohung zeichnet.

Die leibhaftigen Ansprachen vor politischen Entscheidungsträgern, oft in riesenhaften Konferenzen wie in Davos oder vor dem UNO-Klimagipfel, beglaubigen Thunbergs Mission. In einer Zeit, in der Instagram Schönheitsideale prägt, ulkige Selbstdarstellungen und laszive Posen zu unhintergehbaren Leistungen des Erwachsenwerdens gehören, setzt Thunberg auf die schmucklose Präsenz ihrer Person. Dabei kommt ihr Wesen ohne Maske aus. Das wirkt für jene, die es gewohnt sind, sich zu verstellen, unendlich brüskierend.

Wir wundern uns, jetzt da Thunberg in die Weltöffentlichkeit eingetreten ist, dass sie nicht schon früher da war. Der Verblendungszusammenhang von Politik und Medien, den wir mitverschulden, gibt durch ihre Furchtlosigkeit ein Loch preis. Schon aus diesem Grund heften sich weltweite Erlösungsfantasien an ihre Person. Sie erhoffen nicht nur die Rettung des Klimas, sondern auch die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit von Mitteilungen, Botschaften und Personen.

Nichtsdestotrotz kommt ihr dabei eine Ikonografie zugute, die sich – wenn auch vage – in ihrem Äußeren vermittelt. Bei einer 16-Jährigen könnte man an Sturm und Drangperioden denken, an Jugend- oder Hippiebewegungen. Doch Thunberg ist ein Einzelphänomen, das durch ältere Gedankenmuster geprägt scheint; sie wirkt archaischer, rechtgläubiger und verwundbarer. Manches an Thunberg erinnert an das Mittelalter, an Glaubenskriege und unerbittlich Kämpfende. Sie gemahnt an minderjährige Heldinnen, die das Schicksal herausfordern, sich selbst gefährden und bereit sind, sich zu opfern. Das heißt, sie erinnert an Zeitalter, die die technische Reproduzierbarkeit nicht kannten, dafür aber die Aura und den Schauer des Originals.

Greta Thunberg überquert mit dem Segelschiff den Nordatlantik wie eine Wikingerin. Und als eine Jeanne d´Arc zeigt sie keine Scheu, den Mächtigen das Fürchten zu lehren. Ingrid Bergman, bekanntlich Schwedin wie Thunberg, hatte in einem Hollywood-Drama die Jungfrau von Orleans gespielt (1948). Mit Kopftuch sieht sie ihr ähnlich. So wie Danièle Ajoret auf dem Filmplakat zu „Bernadette von Soubiron“ (1961), dem Mädchen aus Lourdes, dem eine Marienerscheinung widerfährt. Dass dies zufällig ist, ist schwer zu glauben. Thunbergs Vater ist Schauspieler, die Mutter Opernsängerin, die Schweden beim Song Contest vertrat. Und dennoch sind wir es, die all das in diesem Teenager sehen wollen. Wir danken ihr für den Riss in der Verblendung und hoffen insgeheim, wir könnten ebenso konzentriert sein wie sie. Denn Thunberg sieht keine Bilder und keine Geschichte. Thunberg sieht nur eine Zukunft, eine bedrohte.

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Abbildung: (li) Bernadette of Lourdes, (frz. Original: Il suffit d´aimer), Regie: Robert Darène
 (re) Joan of Arc, Regie: Victor Fleming

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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