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Tobias Rehberger - Inspiration is a little town in China – in Papier: Nicht von Pappe

Arbeiten von Tobias Rehberger aus oder auf Papier – ein überraschendes Konzept für eine Retrospektive, das aber im Berliner Haus am Waldsee prompt aufgeht.

Die Ausstellung „Inspiration is a little town in China – in Papier“ von Tobias Rehberger überzeugt vor allem deshalb, weil den hier ausgewählten Papier-Arbeiten aus den letzten 27 Jahren eben die künstlerischen Anliegen quasi in Bonsai-Form abzulesen sind, die auch Rehbergers (großangelegten) Installationen die Form geben: Das so sinnliche wie konzeptionelle Fragen nach der Autonomie des Kunstwerks und nach dessen Autorenschaft, um dann die aufgeworfenen Probleme mit einer ästhetischen Strategie zu beantworten, in der immer wieder Interaktionen und Kooperationen den Ton angeben.

Ein gutes Beispiel hierfür ist da die Installation „Smoke until gone“, 2019, die aus etwa 60 in einem Raum verteilten, kleinen Aschenbechern aus Pappmaché besteht. Auf den ersten Blick scheint diese Installation mit ihrer dilettantischen Gestaltung und ihren knallbunten Farben ästhetisch irgendwo zwischen Postpop-Art und Kinderkram angesiedelt zu sein, auf dem zweiten Blick aber erweist sie sich als durchaus intelligent-ambivalentes Kunstwerk. So sind die Aschenbecher überraschenderweise zum Aschen freigegeben, dürfen also in dem, bewusst gegen die eigentlichen Regeln des Ausstellungshauses extra eingerichteten, Raucherzimmer benutzt werden – was dann letztlich dazu führt, dass das Pappmaché von der Restglut der Zigaretten zerstört wird. So werden die Raucher hier zu Koproduzenten dieser sich langsam, aber sicher dematerialisierenden Kunst, die zudem offensichtlich nicht mehr auf eine interesselose Zweckfreiheit insistiert, von künstlerischer Autonomie also keine Spur.

Fragen nach künstlerischem Nutzen und Autorenschaft stellen z. B. auch die Skulpturen „If I do it you do it“, „If I dont do it you dont do it“ und „If you do it I dont“, alle 2019. Die drei in Pappmaché gefertigten Termitenhügel bringen nämlich den produktiven Verdauungsvorgang der Termiten, aus denen dann die Hügel hervorgehen, ins künstlerische Spiel kooperativ mit ein. Dass diese Termitenhügel ebenfalls nicht zweckfrei sind bzw. waren, liegt auf der Hand. Und dass die drei Hügel in gelb, rot und blau daherkommen, lässt wohl nicht von ungefähr an Barnett Newman denken, denn Tobias Rehberger geht es nicht zuletzt immer auch um einen Balanceakt von Leben und Kunst.

Doch auch andere interpretative Zugänge als die Frage von Autonomie und Autorenschaft lässt „Inspiration is a little town in China – in Papier“ dank einer gleichsam offenen Lesbarkeit dieser Artefakte zu. So etwa das mögliche Thematisieren von Scheitern und Verlust – man denke nur an die frühen Aquarelle „Somme, Marne, Verdun“, 1993, die der Künstler angesichts von französischen Schlachtfeldern aus dem 1. Weltkrieg vor Ort gemacht hat. Auch die Entschlüsselung von autobiographischen Momenten liegt des öfteren nahe, z. B. bei der Serie „Harmony“, 2019, die Zigarettenstummel in Speiseresten zeigt, die der Raucher Rehberger selbst nach diversen, mehr oder weniger genussvollen Essen dort entgegen allen „Regeln des guten Geschmackes“ entsorgt hat. Apropos Rauchen: dieses Sujet durchzieht die Ausstellung wie ein roter Faden. So sitzt schließlich im vorletzten Raum ein Jugendlicher in einer Ecke und dreht in der performativen Installation „Freedom of Slaves“, 2019, in aller Ruhe Joints - klarerweise braucht er hierfür „papers“.

Mehr Texte von Raimar Stange

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Tobias Rehberger - Inspiration is a little town in China – in Papier
06.09 - 17.11.2019

Haus am Waldsee
14163 Berlin, Argentinische Allee 30
Tel: +49 30 801 89 35, Fax: +49 30 802 20 28
Email: info@hausamwaldsee.de
http://www.hausamwaldsee.de
Öffnungszeiten: Di - So 11-18 h


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