Family Matters: Unverwüstliche Lebensform
Durch den familiären Alltag hetzen, was war das doch nochmal? Nun gilt es ja eher die entzückende Nachkommenschaft in Zeiten der Entschleunigung auf höchstem Niveau zu unterhalten. Sich selbst ebenso. Das Wiener Dom Museum hat sich seit seiner Neueröffnung 2017 bereits für eine Reduktion der Geschwindigkeit entschieden. Eine Ausstellung pro Jahr, ein klares, nachgerade substanzielles Thema samt Thesen, Exponate aus mehreren Jahrhunderten, ein ausführliches Rahmen- und Vermittlungprogramm, die begleitende Publikation weniger Hochglanz als Lesebuch mit anregenden Gedanken. So weit so tadellos.
Für dieses Jahr steht die Familie im Fokus, das war bereits in der (Vor-)Weihnachtszeit ein Generationen übergreifender Renner, nun in Zeiten wie diesen ist es das sowieso. Unter Begrifflichkeiten wie klassische Kernfamilie, Patchwork- und Regenbogenfamilie, Alleinerziehende oder Co-Parenting lebt man zusammen, doch gab es das auch nicht immer schon? Man denke alleine an die heilige Sippe. Josef übernimmt die soziale Vaterschaft für Jesus. Die Mutter Marias hingegen wird nach dem Tod von Joachim noch zwei Mädchen mit zwei verschiedenen Vätern gebären, beide werden wie schon ihre ältere Halbschwester Maria genannt.
Ausstellungen wie diese sind prädestiniert dazu über die Jahrhunderte hinweg ebenso Parallelen zu zeigen, die bisweilen nicht so augenscheinlich waren, doch lässt sie auch über eingefahrene Rollen stolpern, über reflexartige Seherfahrungen, die sich durch ein ikonografisches Selbstverständnis erklären lässt. So lässt sich als eine der Thesen von Family Matters herausarbeiten, dass Familie alles sein kann, nur kein starres Konstrukt.
Beginnend mit dem Video „Determination (4)“ von Hans Op de Beek aus dem Jahr 1998, in dem eine Familie, wie eingangs erwähnt, durch den nicht näher definierten Alltag hetzt, hat Direktorin Johanna Schwanberg nun während der Schließzeit des Museum begonnen, im Netz durch „Family Matters“ zu führen. Man merkt diesen kompetent wie persönlichen Bildbetrachtungen die jahrelange Erfahrung an, die Schwanberg in der Ö1-Reihe „Gedanken für den Tag“ gesammelt hat. Einige der rund 2-minütigen Videos sind bereits eingespielt, peu-a-peu sind sie nächstens über --> Facebook, --> Instagram, --> Twitter und --> YouTube abrufbar. Zudem arbeitet das Vermittlungsteam an einem Format für die Kleinsten, um sie zum kurzweiligen Zeitvertreib zu diesem Thema anzuregen.
Neben einem einführenden Text von der Direktorin und einem Beitrag von Daniela Hammer-Tugendhat findet sich in der begleitenden Publikation ein Interview mit dem Soziologen Tilman Allert. Für ihn ist Familie, dieses „komplexe und seelisch dynamische Miteinander“, die Gegensituation schlechthin. Und er formuliert etwas ungemein tröstliches, wenn er ausführt, dass Perfektionierung, die überall von jedem gefordert ist, in der Familienkommunikation nicht hilft. „Familie ist“, so fasst der zusammen, „der Ort zugelassener Imperfektion“.
„Unverwüstlichkeit einer Lebensform“, lautete der Untertitel von Allerts in den 1990ern verfassten Habilitation zu diesem Thema. Dies hat für ihn auch noch heute Gültigkeit. Gerade die gegenwärtige Vielfalt von Familienmodellen würden dies bestätigen, sofern allerdings „die Liebe die bestimmende Konstante ist.“
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Katalog zur Themenausstellung des Dom Museum Wien
Hrsg. von Johanna Schwanberg
Dom Museum Wien 2019
ISBN: 978-3-200-06512-3
Zweisprachig: Deutsch & Englisch
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04.10.2019 - 30.08.2020
Dom Museum
1010 Wien, Stephansplatz 6
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Öffnungszeiten: Mi, Fr, Sa, So 10-18, Do 10-20 h