Werbung
,

In der Video-Falle

„Strache-Video: Zentrum für Politische Schönheit soll dahinterstecken“, mutmaßten nicht nur österreichische Zeitungen wie Profil oder Die Presse, das Gerücht verbreitete sich auch in deutschsprachigen Kunstkreisen schnell. Interessant an diesem Gerücht ist zweierlei: Einerseits wird hier, frei nach Walter Benjamin, eine „Ästhetisierung der Politik“ unterstellt, die verblüfft, zumal hier artivistische Strategien plötzlich hoffähig zu werden scheinen und angesichts ihres vermeintlichen Erfolges auch von wert-konservativen Kreisen abgefeiert werden. Andererseits aber zeugt dieses Gerücht von einer fundmentalen Ignoranz der Arbeit des Zentrum für Politische Schönheit gegenüber, einer Ignoranz, die seit Jahren der Arbeit des ZPS jedweden Kunstcharakter abgespricht und sie lediglich im Feld der Politik verortet sieht. So werden selbst eigentlich seriöse Medien wie die ZEIT, SZ oder die FAZ nicht müde, das ZPS immer wieder in die Ecke von lärmenden „Aktivisten“ zu stellen.

Erinnern wir uns an deren Aktion „Flüchtlinge fressen – Not und Spiele“, 2016, die gar als „tödliches Schockerlebnis“ (Perlentaucher - das Kulturmagazin) bezeichnet wurde. Das ZPS hatte damals in Sichtweite des Berliner Gorki-Theaters (!) ein Tigerkäfig aufgestellt, um den Tieren angeblich Flüchtlinge zum Fraß vorzuwerfen, sollte die Bundesregierung nicht ihre Flüchtlingspolitik ändern. Neben dem Käfig stand eine Videoleinwand, auf der Filme zur Flüchtlingsproblematik gezeigt wurden und ein Internet-Auftritt begleitete die Aktion. Zudem fanden jeden Abend prominent besetzte Diskussionsrunden zum Thema im Garten des „Gorki“ statt. Bezeichnenderweise berichtete die Presse damals nur von dem Tigerkäfig und übersah dabei dann noch die so lokale wie formale Nähe zum Theater, obwohl letzteres auch dadurch unterstrichen wurde, dass als Gladiatoren kostümierte (!) Männer den Käfig „bewachten“. Solche Reduzierungen, die damals zur besagten Einschätzung der Arbeit als plumpe, ja „tödliche“ Provokation führten, unterschlagen die Komplexität der Arbeit des ZPS, um sie dann nicht als Kunst-Theater-Aktion akzeptieren zu müssen. U. a. diese Qualität aber zeichnet die Arbeit des ZPS bei genauerer Rezeption aus, außerdem gibt die Einschätzung als Kunst ihr eben den nötigen Freiraum, der eine grundlegend humanistische, außerhalb der Sach- und Programmzwänge des politischen Tagesgeschäfts verortete Kritik erst möglich macht.

Das Leugnen des Kunstcharakters der ZPS-Aktionen macht es dann naheliegend diese in die Sphäre der Realpolitik zu schieben – was schließlich dem Gerücht „Strache-Video: Zentrum für Politische Schönheit soll dahinterstecken“ die Grundlage gibt. Diese Verschiebung mögen manche begrüßen, doch sie hat Konsequenzen für beide Seiten: Politik wird als ein theatralisches Spiel legitimiert, das nicht mehr demokratischen Regeln (Stichwort: Videoüberwachung) zu gehorchen braucht, und die Kunst verliert den gerade von mir erwähnten Freiraum des ästhetisch Kritischen.

--
Screenshot © SPIEGEL und Süddeutsche

Mehr Texte von Raimar Stange

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: