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Bugholzmöbel

An den Beginn sei diesmal eine Begebenheit gestellt, die als Paradebeispiel für ein späteres Sammlerleben fungiert. Zu seiner speziellen Leidenschaft kam Helmut W. Lang eher zufällig. Es galt die erste Wohnung der Tochter einzurichten. Lang machte sich auf den Weg zu einem legendären, mittlerweile leider geschlossenen Paradies für Antiquitätenfreaks, zu "Guhrmann" in den 19. Wiener Gemeindebezirk, nahe des Karl-Marx-Hofes und der Heiligenstädterstraße: drei oder vier Stockwerke einer aufgelassenen Fabrikhalle, gefüllt mit altem und nicht ganz so altem, mit Beichtstühlen, Kinosesseln, Kredenzen, Lampen, Geschirr etc. Lang fand sich in der "Sesselhalle" wieder und erwarb die Bestuhlung der töchterlichen Wohnung. Die quantitativen und qualitativen Ansprüche der Tochter waren mit den verschiedenen Kaffeehausstühlen befriedigt - der Vater war mit einem neuen Sammelbazillus befallen. Von da an lief alles stereotyp: er kaufte Bücher, Kataloge und gestaltete die Wohnung zum Möbellager um. Bugholz-Möbel wurden quasi zum Schicksal von Helmut W. Lang, vom 3. 9. 2003 bis 6. 1. 2004 bestücken Teile seiner Sammlung die aktuelle Ausstellung im Hofmobiliendepot. Geschichte: vom Streifen- zum Stabbündel Die Geschichte des Bugholzmöbels mag augenscheinlich 1853 beginnen, als Vater Michael Thonet gemeinsam mit seinen fünf Söhnen in Wien-Gumpendorf das spätere Imperium begründete. Aber die ersten Experimente mit gebogenem Holz lagen zu diesem Zeitpunkt fast zwei Jahrzehnte zurück, genauer aus den Jahren um 1830. Michael Thonet setzte sich dabei mit der Schichtholz-Technik auseinander, bei der er Furnierblätter in der Faserrichtung des Holzes zu Streifen schnitt, diese mit Leim kochte, die Streifenbündel anschließend mit Hilfe von Biegeformen innerhalb einer ebene in die gewünschte Form presste und daraus ganze Stuhlelemente bildete. Rein äußerlich unterschieden sich diese Stühle aber nicht von Massivholzstühlen, da sie mit Furnieren überdeckt wurden. Diese so genannten Bopparder Möbel - benannt nach jenem Ort am Rhein, in dem Thonet 1819 seine erste Werkstatt eröffnete - waren deutlich leichter als herkömmliche Holzstühle und konnten mit geringerem Materialaufwand schneller und günstiger hergestellt werden. Während man Thonet das Patent in Preußen wegen "Mangel an Neuheit" ablehnte, erhielt er in Frankreich den Patentschutz für die Dauer von 15 Jahren. Etwa um diese Zeit lockte ihn die vom österreichischen Staatskanzler Clemens Fürst Metternich ausgesprochene Einladung, nach Wien zu übersiedeln, um in der Metropole der Habsburgermonarchie das Verfahren zu verwerten. Einer der ersten großen Aufträge in Wien war die Neuausstattung des Stadtpalais von Fürst Liechtenstein, für die Thonet leichte Beistellstühle, so genannte "Laufsessel", entwickelte. Statt Furnierstreifen verwendete Thonet nun verleimte Stabbündel - ähnlich Spagetti-Bündel - die es ermöglichten, Formen in beliebige Richtungen zu biegen. 1852 erhält Thonet das Privileg über das Verfahren "dem Holz durch Zerschneiden und Wiederverleimen jede beliebige Biegung und Form in verschiedene Richtungen zu geben" - 1856 ergänzt er das Privileg auf "die Anfertigung von Sesseln und Tischfüßen aus gebogenem Holz, dessen Biegung durch Einwirken von Wasserdampf oder siedenden Flüssigkeiten geschieht". Firmengeschichte(n) Wie das Reich der Banken von den fünf Gebrüdern Rothschild regiert wurden, herrschten die fünf Gebrüder Thonet ab Mitte der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts über den Welt-Möbelmarkt - nicht ohne lebhafter Konkurrenz. Nachdem die Patente im Jahre 1869 abgelaufen sind, schießen neue Möbelfirmen aus dem Boden: J.&J. Kohn, Fischel, Mundus und Eisler sind die bedeutendsten. Vorerst beschränken sich die "Neuen" darauf, Thonet zu kopieren, wobei die Unterscheidung durch die Ähnlichkeit zunehmend schwieriger wurde. Mit dem gesellschaftlichen Wandel änderten sich naturgemäß auch der Geschmack bzw. die Bedürfnisse der Klientel: das sich von der Masse distanzierende "wichtige" Bürgertum zeigte eine starke Abneigung gegen Serienmöbel und bevorzugte die persönliche Note, lehnte Stile ab und wünschte Möbel nach Maß, entworfen von bekannten Künstlern. Mit Otto Wagner an der Spitze entwerfen in Österreich Josef Hoffmann, Kolo Moser, Adolf Loos und andere Möbelmodelle für ihre Architektur. Eine Vielzahl dieser Möbel wurde vorerst von J.&J. Kohn unter der künstlerischen Leitung von Gustav Siegel hergestellt. Dies stellte eine Erneuerung der Qualität, aber aus Sicht von Michael Thonet auch einen Verfall des Grundgedankens dar, eine Spaltung zwischen Idee und Realisierung: Der Entwerfer war nicht mehr identisch mit dem Hersteller. Die Glanzzeit der Neuschöpfung einfacher Modelle war vorbei, trotzdem die alten gängigen Modelle wie Nr. 14 und Nr. 18 bei Thonet immer noch den Hauptbestandteil der "Konsumware" bildeten. Die wirtschaftliche Bilanz um 1910 ist insgesamt beachtlich: Von 32.000 Arbeitern werden in 52 Firmen Bugholzmöbel hergestellt und der jährliche Export beträgt rund 22.000 Tonnen. Die Niederlage der Mittelmächte und die Auflösung Österreich-Ungarns fordern ihren Tribut. In den neuen Staaten von Zentraleuropa isoliert, richten sich die Fabriken wieder auf und erwerben ihre Autonomie in einer Art Holding-Gesellschaft; Die Gebrüder Thonet vereinigen sich mit ihren Ex-Konkurrenten Kohn und Mundus. Modelle & Preise Thonet: Der mehr als 50 Millionen Mal verkaufte Nr. 14 zählt - obwohl Massenmöbel aufgrund seiner Innovation - zu den wahren Klassikern. Exemplare des bekanntesten Thonet-Stuhls aus der ersten Produktionsserie sind je nach Zustand ab 1.800 Euro zu haben. Für Architekten-Entwürfe wird weit mehr veranschlagt: Otto Wagners Hocker für die Postsparkasse von 1906 ist mit etwa 9000 (bis 11.000) Euro veranschlagt Kohn: Zum einem der berühmtesten Einzelmodelle der Firma Kohn avancierte der Entwurf von Adolf Loos für das Cafe Museum von 1898/99. Für ihn zahlen Sammler zwischen 5000 und 7000 Euro. Modelle von Bruno Paul - für das Cafe Kerkau im Auftrag der Vereinigten Werkstätten für Kunst und Handwerk Berlin - kosten deutlich weniger, zwischen 800 und 1200 Euro. Getoppt werden diese Preise vor allem von den für das Sanatorium Purkersdorf im Auftrag der Wiener Werkstätte ausgeführten Stühle, wie dem Armlehnmodell für den Speisesaal nach Josef Hoffmann, für den ein Sammler bei Christies (New York) 1999 34.500 US-Dollar bezahlte. Pflege & Reperatur Bugholzmöbel und vor allem -stühle haben einen entscheidenden Vorteil: sie sind meist gedübelt oder geschraubt. Das erleichtert einerseits das Auseinandernehmen, falls es notwendig ist, und andererseits die Ergänzung, sofern Schrauben oder Dübel fehlen. Die einzigen geleimten Teile sind die oberen Enden der Vorderbeine, die in die Unterseite des Rundrahmens eingeleimt sind. Meist ist diese Verbindungsstelle durch eine Holzschraube von innen verstärkt und kann ohne Probleme nachgeleimt werden. Reinigung: Im Zweifelsfall ist trockenes Abreiben besser als feuchtes - bloßes Wasser unbedenklicher als chemische Mittel. Demnach sollte auch bei jenen Bugholzmöbeln verfahren werden, die keine Schellackpolitur aufweisen. Will man alte Wachspolituren entfernen, arbeitet man am besten mit einer Mischung von Terpentinersatz und Leinöl (4:1). Handel & Auktionshäuser Patrick Kovacs, Rechte Wienzeile 31, 1040 Wien: www.patrick-kovacs.at Bel Etage, Wolfgang Bauer, Mahlerstraße 15, 1010 Wien: www.beletage.com www.dorotheum.com www.imkinsky.com www.christies.com www.sothebys.com Literatur Neuerscheinung, die Ausstellung begleitende Publikation aus dem Böhlau Verlag: "Gebrüder Thonet - Möbel aus gebogenem Holz", Eva B. Ottilinger, Böhlau Verlag Wien, 29,90 Euro "Thonet - Klassiker in Bugholz und Stahl", Alexander von Vegesack, 1987 "Bugholzmöbel", Verlag Karl Krämer Stuttgart 1984
Mehr Texte von Olga Kronsteiner

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1 Posting in diesem Forum
bugholzmöbel
dieter staedeli, kohlenberggasse 21, ch-4051 basel | 10.08.2006 01:33 | antworten
sehr gute und informative seite zu den bugholzmöbeln. ich befasse mich seit über 15 jahren mit bugholzmöbeln, bin sammler und führe ein geschäft mit thonetmöbeln. www.wienermoebel.ch besten dank!

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