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Philippe Parreno: Poesie der Hybris?

Die scheinbar zufällige Produktion eines „Bioreaktors“ steht im Mittelpunkt von Philippe Parrenos Einzelausstellung im Berliner Gropius-Bau – um dann letztlich doch die Macht an den Künstler abzugeben.

Begrüßt wird der Besucher in der ersten Etage des Gropius-Bau von einer dunklen Wasserfläche, immer wieder kräuselt sie sich aus unerfindlichen Gründen. Im Nebenraum warten orangenfarbenes Licht und bunte Plastikfische, die auf dem Boden liegen, dann aber langsam auf einer scheinbar vorgezeichneten Route wie von selbst nach oben fliegen. Im nächsten Raum gehen Lampen, wiederum wie von Geisterhand geschaltet, an und aus, in einem anderen Raum werden Jalousien rauf- und heruntergelassen, erneut bleibt zunächst offen, wer für diese Bewegungen verantwortlich ist. Schließlich steht da ein Klavier, das geheimnisvoller Weise spielt, ohne gespielt zu werden. Des Rätsels Lösung all dieser mehr oder weniger ästhetischen und miteinander in Zusammenhang stehenden Vorgänge: Ein Bioreaktor, in dem Mikroorganismen mutieren, steuert und koordiniert all diese und noch viel mehr Prozesse in Philippe Parrenos (namenloser) Ausstellung. Nicht mehr der Mensch also scheint hier der Dirigent des Geschehens zu sein, sondern einfache Hefe und deren im gewissen Sinne „willkürlichen“ Signale.

Wohl nicht von ungefähr erinnert dieses Ausstellungskonzept an Pierre Hyghes Beitrag „ After Alife Ahead“, 2017, für die letzten Skulptur.Projekte Münster, bei dem menschliche Krebszellen Licht an- und ausschalteten sowie eine Dachluke öffneten und schlossen. Während bei Pierre Huyghe dieses „Gewebe“ (Huyghe) Teil einer apokalyptisch anmutenden Welt nach der Katastrophe war, kommt Philippe Parrenos im Gropius-Bau entwickelter Kosmos schmuck designt im minimalistischen Chic und technisch überaus ausgeklügelt daher.

Genau diese technische Perfektion aber führt hin zu dem Problem der Ausstellung: Statt ein Modell des Zusammenlebens vorzuführen, das nicht anthropozentrisch organisiert ist – also ein Leben vorzustellen, in dem die Menschheit ihre Bedürfnisse nicht mit rücksichtsloser Hybris durchsetzt – zeigt Philippe Parreno, wie der Mensch bis ins letzte Detail die Kontrolle behalten kann. Die zwischengeschaltete Hefe und ihre Aktivität unterliegt nämlich mit Hilfe von Zuckerzufuhr der Macht des Künstlers und dem vermeintlichen „Zufall“ wird in diesem aufwendig vernetzten Kunstprogramm letztlich nichts überlassen. Strafverschärfend leugnet diese hyper-anthropozentrische Kunstwelt ihre desaströse Qualität, die bei Pierre Huyghes „After Alife Ahead“ klar ersichtlich war. Stattdessen verkennt sich Parrenos Präsentation als wohltemperiertes Event, ja, als ansehnliches Gesamtkunstwerk der höchst intelligenten Art. So wird der Anthropozentrismus hier nicht kritisiert, wie es z. B. angesichts der Klimakatasrophe dringend nötig wäre, sondern ästhetisch abgefeiert. Höchst ärgerlich!

Mehr Texte von Raimar Stange

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Philippe Parreno
25.05 - 05.08.2018

Gropius Bau
10963 Berlin, Niederkirchnerstr. 7
Tel: +49 30 25486-0, Fax: +49 30 25486-107
Email: post@gropiusbau.de
http://www.gropiusbau.de
Öffnungszeiten: Mi-Mo 10-20 h


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