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Marisa Merz - Il Cielo È Grande Spazio / Der Himmel ist ein weiter Raum: Arte Povera Molto Femminile

Marisa Merz wird den Arte Povera-KünstlerInnen zugeordnet. Sie war mit Mario Merz verheiratet und befand sich im Dunstkreis der Gruppe um Kounellis, Pistoletto, Celant im Turin der 60er und 70er Jahre. Ihre künstlerischen Materialien sind zwar „arme“, günstige, ja beiläufige Materialien, dennoch entwickelte sie eine sehr eigene Formensprache etwas abseits der „Poveristi“.

Sabine Breitwieser die im Herbst dieses Jahres das Haus MdM verlässt, war es ein großes Anliegen, weibliche Künstler- und Autorenschaft vornehmlich des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts in Salzburg zu zeigen. Frauen, die wie Ana Mendieta, Carolee Schneemann und Charlotte Moorman alternative „weibliche“ Ausdrucksformen zu dem parallel beginnenden theoretischen Feminismus entwarfen. Ausdrucksformen die sich auch aus ihrem sozialen Geschlecht als Frau entwickelten. 1)

Die fünf Jahrzehnte des Schaffens von Marisa Merz umspannende Ausstellung am Mönchberg zeigt in einem Raum eine von der Decke hängende Skulptur. Es sind voluminöse sich faltende Aluminiumröhren, die ihre Arme wie Tentakeln zum Boden strecken. Marisa Merz hat diese Skulptur immer wieder an verschiedenen Orten installiert. Einmal hängt sie zusammengeschoben von der Küchendecke in ihrer Turiner Wohnung oder sie baumelt in ihrer Fülle aufgefächert in ihrem Atelier. Zeitweise bemalte die Künstlerin ihre Arbeit und betitelte Sie als „Living Sculpture“. Die Arbeit entstand 1966, als Merz vierzig Jahre alt war und ihre Kunst eine entscheidende Wendung nahm. „Living Sculpture“ stellt eine Art Alter Ego ihrer Person dar und scheint ihr bescheidenes Auftreten oder die Nichtbeachtung durch männlichen Künstlerkollegen monströs und augenzwinkernd zu konterkarieren.

Das Oeuvre der Künstlerin, die trotz ihres hohen Alters noch in ihrer Turiner Wohnung lebt und arbeitet, umfasst auch Zeichnungen aus denen sich weitere Bilderfindungen ergeben, sowie ihre Serie der „Testi“ – Köpfe aus ungebranntem Ton. In den Zeichnungen untersucht sie immer wieder Fragen an das Porträt, sie schematisiert das Gesicht, scheint es zu vermessen und übersät es mit Kringeln. In manchen Arbeiten legt sie eine Art Schleier aus Netzen über das dargestellte Gesicht, womit sie zu ihrem ureigensten künstlerischem Mittel, dem Kupferdraht kommt. Aus Kupferdraht strickte sie kleine Quadrate die sie auf Zeichnungen und dann allmählich frei an der Wand anordnete. Es entstehen auch den Fischernetzen ähnliche Dreiecke. Man scheint das Meer förmlich zu riechen. Die Formate werden allmählich größer und raumfüllender. Ein besonders schönes Exemplar dieser Kupferdrahtarbeiten ist eine Wandarbeit von 1976, die im Museum am Mönchberg zu sehen ist.

Aber auch die kleinen Formate entwickelte sie weiter, wie die immer wieder auftauchenden Scarpetti, kleine Schuhe gestrickt aus Kupferdraht. Für sich und ihre Tochter Bea schuf sie dieses leichte Schuhwerk und setzte es bei Performances am Meer und bei der Betrachtung des Mondes ein. In dieser kleinteiligen handwerklichen Form bezieht sie sich auf die gesamte handwerkliche und künstlerische Tradition Italien von der Renaissance bis zur Gegenwart.

Zum Abschluss sei noch auf ihre punktgenaue Erfassung der Umstände der Frauen in den 60er-Jahren verwiesen. Merz wusste um die engen Produktionsbedingungen der Künstlerinnen. Neben starken männlichen Partnern, die oft patriarchalisch agierten, war es schwer, ernsthaftes Kunstwollen zu behaupten. Merz begann ihre ersten Arbeiten am Küchentisch zu entwerfen und herzustellen. Einblick in diese Kreativität im Häuslichen gibt der dreiminütige Film mit Marisa Merz von 1967, wo sie Erbsen aus einer Dose in den Teller zählt: „La Conta“(„Das Zählen“). Man sieht in dem Stummfilm die zählenden Mundbewegungen der Künstlerin. Besser kann man sinnentleerte „Hausfrauenarbeit“ nicht mit absurder Bedeutung aufladen.
Der Film „La Conta“ erinnert sofort an Martha Roslers Video „Semiotic of the Kitchen“, wo sie in alphabetischer Reihe Küchengeräte in die Kamera hält und ihre Funktion erklärt. Roslers Film ist etwas später, 1975 entstanden.

Man kann in dieser bemerkenswerten Schau, die im Vorjahr in Los Angeles und New York zu sehen war und nun in etwas erweiterter Form in Salzburg und in Porto ist, glückhafte Momente der Kunstbetrachtung erleben. Mehr kann man einer Ausstellung, der Künstlerin und den Besuchern nicht wünschen.

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1) Diesen Ausstellungsansatz vertritt Breitwieser auch mit der Präsentation von Anna Boughiguian (siehe die --> artmagazine Kritik), einer ägyptisch-kanadisch-armenischen Künstlerin, im Rupertinum.

Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Marisa Merz - Il Cielo È Grande Spazio / Der Himmel ist ein weiter Raum
25.05 - 04.11.2018

Museum der Moderne Salzburg Mönchsberg
5020 Salzburg, Mönchsberg 32
Tel: +43 / 662 / 84 22 20-403, Fax: +43 / 662 / 84 22 20-700
Email: info@mdmsalzburg.at
http://www.museumdermoderne.at
Öffnungszeiten: täglich 10-18 h, Mi 10-20 h


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