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Simon Fujiwara – Hope House: Die Anne Frank Homestory

Nein, es gibt keinen Grund zur Empörung. Niemand möchte sich das Leid von Anne Frank zu Nutzen machen, sich auf Kosten der berühmten, jugendlichen Tagebuchschreiberin, die 1945 im KZ Bergen-Belsen ums Leben kam. Schon gar nicht Simon Fujiwara, der für die Ausstellung „Hope House“ Teile des Amsterdamer Anne Frank Hauses im Kunsthaus Bregenz 1:1 nachgebaut hat. Maßstabsgetreu muss noch lange nicht originalgetreu bedeuten, das wird bereits in der Eingangshalle klar, denn auch am Anne Frank Haus in Amsterdam ist nichts mehr authentisch, vielmehr ist das Domizil, das der Familie als Versteck diente, heute für die betroffenen Touristenströme lediglich nachempfunden.

Im Shop des Anne Frank Museums gibt es neben Repliken des Tagebuches, deren leere Seiten selbst gefüllt werden können auch einen Bausatz des Gebäudes. Er diente dem Künstler nun als Vorbild für seine Einbauten, die sich nun über die drei Ebenen des Kubus staffeln und gleichsam zum Display für einzelne Werke, Videos, Installationen und erstaunliche Konsumgüter werden. Sie alle sind dazu angetan, so der Künstler, uns einen Spiegel unserer Lebensweise vorzuhalten: „ein Leben unter dem Regime einer neuen Weltordnung, dem beschleunigten Kapitalismus“. Architektur, Politik, Alltagskultur und die eigene Biografie mischen sich hier zu einem denkwürdigen Ensemble.

Beim Stöbern durch die Etagen des Haues lernt man im „Warehouse“ des ersten Obergeschosses angesichts eines Puderhaufens über Angela Merkels spezielles HD-Make-up, das ihr vor den Kameras ein natürliches Aussehen verleiht. Seite an Seite präsentiert, ergeben --> „Outfittery“ und --> „Choose Love“, zwei höchst unterschiedliche Angebote an Konsumenten ein nachgerade zynisches Pendant des Shoppen und Shoppen lassen. Während „Outfittery“ nach den online übermittelten Angaben des Kunden dessen Kleidung von Kopf bis Fuß zusammenstellt und in einer Box nach Hause liefert, konnte der konsumwillige Menschenfreund bis vor kurzem in einen noblen Londoner Laden namens „Choose Love“ gehen, um Alltagsutensilien und Kleidung auszuwählen zu zu bezahlen. Der Einkauf wurde an Bedürftige weiter gegeben, der Kunde selbst verließ mit leeren Händen den Laden. Heute funktioniert das ganze online.

Im „Secret Annex“ des zweiten Oberscheschoss treffen wir auf den Fall der ehemaligen Kunstlehrerin von Fujiwara, von der als Miss Nordirland Pin-up Fotos kursierten, was ihr nach einem im Boulevard ausgetragenen Skandal den Job und das Ansehen kostete. Die Trickkiste moderner Marketing- und Werbestrategien nutzend, versucht der Künstler nun gemeinsam mit der ehemaligen Lehrerin, deren Prestige wiederherzustellen. Einige Wände weiter ist jenes Regal, das in Amsterdam den Zugang zum Versteck Anne Franks verdeckt, mit 233 gleichen Ausgaben von „Fifty shades of Gray“ gefüllt und erzählt die Geschichte des Megasellers, den jeder lesen und offenbar keiner im heimischen Regal präsentieren wollte. Irgendwann hatte die karitative Einrichtung Oxfam für den erotischen Block-Buster einen --> Aufnahmestopp verhängt.

Dann und wann geht es dann doch um die vermeintliche Bewohnerin des Hauses. Am Küchentisch wartet ein Geburtstagskuchen und dann gibt es noch Anne Franks Schlafzimmerwand, von der in der Tat originale Spuren erhalten sind. Fujiwara hat das Jungmädchenarrangement rekonstruiert und durch Pin-ups ergänzt, die prominente Besucher des Anne Frank Hauses zeigen. Auch Beyoncé war wohl da. Eine Stunde nachdem sie sich in ihrer Ergriffenheit auf Instagram verewigt hatte, war ihr Outfit bei Top Shop international ausverkauft. Auch jenen ausgefransten Hosenanzug hat der Künstler handgefertigt reproduzieren lassen.

Keine Sorge, alles hier ist Fake. Alleine die Realität, die dahintersteckt, ist absurd.

Mehr Texte von Daniela Gregori

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Simon Fujiwara – Hope House
27.01 - 08.04.2018

Kunsthaus Bregenz
6900 Bregenz, Karl Tizian Platz
Tel: +43 5574 48 594-0, Fax: +43 5574 48 594-8
Email: kub@kunsthaus-bregenz.at
http://www.kunsthaus-bregenz.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr


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