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Prag, ein bemerkenswertes Pflaster

Was für ortsspezifischen Wein das Terroir ist, wäre für die Prager Kunst das auffällig designte Katzenkopfpflaster, sprich: Sie gedeiht auf speziellem Boden. Wer weiß? Jedenfalls spaziert man auf dem Weg zu den Kunstschauplätzen auf gepflasterten Gehsteigen mit unterschiedlichen geometrischen Mustern - und zwar aus rosa, weißem und blau-grauem Marmor. Diese Tradition entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und ursprünglich war vor jedem Haus ein anderes Muster...

In der Galerie Rudolfinum, einer vom Kulturministerium geführten und finanzierten Kunsthalle, landete Kurator David Korecky in der 100. Ausstellung einen wahren Publikumsmagneten: Kristof Kintera bespielt mit seiner Schau „Nervous Trees“ mit monumentaler Wucht und anderseits scheinbar spielerischer/verspielter Leichtigkeit die acht Räume in dem museumsartigen Neo-Renaissancegebäude. Inzwischen spaltet er bereits die Kunstszene, die ihm platten Populismus vorwirft. Die Arbeiten, zum Teil zuvor andernorts bzw. outdoor installiert, schürfen aber tiefer, was allein in den Titeln angedeutet wird, etwa Demon of Growth, Electrons Seeking Spirit, Postnaturalia, Praying Woods, We All Want to be Cleaned…

Das Wahrzeichen des DOX, Center for Contemporary Art, ist Gulliver, ein quer über den ehemaligen (Fabriks-)Gebäudekomplexen sanft gelandeter Zeppelin, mit 42 Metern eine stattliche Holzkonstruktion, die für Lesungen etc. genutzt wird. Das DOX versteht sich mit seinem Programm nicht als reiner Kunstort, sondern als Schnittstelle zu Soziologie, Psychologie, Philosophie und Politik und entsprechenden Angeboten. Der Mix der aktuellen Herbstausstellungen spiegelt das durchaus wieder: Over My Eyes, Stories of Iraq - eine Doku- Fotoausstellung; Reconstruction of Memory (über die russische Besetzung der Krim); 9. internationaler Stanislav Libensky Glas Preis.

Es ist ja generelle Praxis im Kunstbetrieb, dass ungenützte, stillgelegte, abgehauste Areale von Kunstschaffenden als Zwischenlösung genutzt oder tatsächlich wiederbelebt werden. Wie bei DOX, so auch ein ehemaliges Schlachtgelände, wo sich neben einer Markthalle und Standlmarkt mit Billigware eine junge kreative Alternativszene einfädelt, etwa die Trafo Gallery – privat geführt, es ist Eintritt zu bezahlen, dann sieht man aktuell Trash Art des Künstlers Michal Cimala. Zwischendurch wird klar, dass der Begriff Galerie in Prag weiter gefasst ist…

Als temporäres Projekt fand Mitte Oktober das 22. Internationale Festival für zeitgenössische Kunst statt, das sich jedes Mal ein herausforderndes Gebäude als Austragungsort sucht, diesmal die Karlin Baracken (1840 erbaut, war es damals die größte Kasernenanlage der Stadt), die nach jahrelangem Leerstand 2016 als kulturelles Begegnungszentrum teilweise adaptiert wurde. Das Festivalprogramm ist stark auf Performance ausgerichtet, die kuratierte Ausstellung ist aber der wesentliche Kern. 31 Künstlerpositionen erfüllten die Räume unter dem Titel AMIWHATIAMTHINKINGABOUT. Ein markanter architektonischer Eingriff in Form eines durchgehenden über dem Boden schwebenden Steges sollte die zeitlich-räumliche Distanzierung zu der früheren Nutzung des Gebäudekomplexes betonen, konnte aber auch als eigenwilliger Erlebnisparcours interpretiert werden. - Ein gravierender Transformationsprozess steht dem ehemaligen Elektrizitätswerk der Straßenbahn bevor: Die Kunsthalle Praha soll 2020 hier eröffnet werden. Ermöglicht durch das Engagement der Pudil Family Foundation, die auch eine eigene Sammlung mit ca. 1000 Werken einbringt und ein internationales Ausstellungsprogramm anbieten will.

Zwischen den Schriftzügen von The Chemistry Gallery und Dance Academy Prague steht noch in schlanken hohen Lettern ELEKTRA. Auch die Chemistry Galerie fand im repräsentativen Firmensitz des ehemaligen Elektro-Unternehmens aus den 30er Jahren ein dezent stilvolles Domizil, das kurz vor der Generalsanierung steht… Das Programm ist auf junge KünstlerInnen fokussiert. Diesmal zu entdecken galt es Jan Uldrych, der zu den bemerkenswerten tschechischen Nachwuchskünstlern realistischer Malerei zählt und auch schon an der ART.FAIR in Köln gezeigt wurde. Eyecatcher ist ein Sujet, das als Magier tituliert ist; hätte man früher Fabelwesen dazu gesagt, so assoziiert man heutzutage eher ein schief gegangenes genetisches Experiment angesichts der dargestellten Tier-Mensch-Kreatur. Faszinierend jedenfalls ein wie aus Teppichornamenten zusammengestelltes Endlos-Bild, die akribisch angeordneten Strukturen verlieren sich in der Ferne, der obere Bildrand als quasi-Horizont, Wüste.

Jiri Svestka muss erwähnt werden, einer der lang im Geschäft ist und sich immer wieder neu erfindet. In seiner aktuellen gleichnamigen Galerie kann er mit einigen Arbeiten von Stanislav Kolibal (1925 geboren) aufwarten und kombiniert dazu Objekte, eigentlich Mini-Installationen von Gianni Caravaggio, die dieser im gleichen Alter produzierte wie der Altmeister damals. - Spezielles Engagement findet man auch in der Nevan Contempo Gallery, unprätentiös im Hinterhof gelegen, vielleicht einmal eine Werkstatt oder Garage, jetzt White Cube. Bei der Vernissage von Peter Demek gab es für jedes Objekt einen wesentlichen Schaffens-Moment, denn der Künstler vollendete es in einer Performance vor dem Publikum. Die Galerie Hunt Kastner hat man als Echo von Teilnahmen an der viennacontemporary im Ohr. Camille Hunt und Katherine Kastner betreiben ihre Galerie für zeitgenössische Kunst seit 2005. Mit Freude und Stolz wird auch der neue Projektraum im Hof präsentiert, in dem feine, frühe s/w Fotoarbeiten von Marie Kratochvilová gezeigt werden.

Dann gibt es aber auch Bauwerke, die Jahrhunderte lang ihre Funktion beibehalten, nicht vordringlich als Kunstraum geschaffen, aber doch reichlich damit ausgestattet. Ohne ins Detail zu gehen beim Veitsdom und der Basilika des Hl. Georg auf dem Hradschin: So unmittelbar neben- und nacheinander das Raumgefühl eines gotischen Domes bester Ausprägung im Vergleich zur architektonischen Wirkung eines romanischen Kircheninnenraumes erleben zu können, ist rar. Und weil es eine so fantastische Geschichte in der Geschichte ist, zum Abschluss diese: Die Karlsbrücke (http://de.czech-unesco.org/prag/stadtbesichtigung-2/) hieß ursprünglich Steinbrücke und wurde erst 1870 nach ihrem Gründer benannt. Der Bau dieser notwendigen neuen Brücke begann am 9. Juli 1357 um 5 Uhr 31 Minuten (!) - Kaiser Karl IV legte persönlich den Grundstein dafür. Das genaue Datum wurde wegen einer Konjunktion der Sonne mit dem Saturn ausgewählt, was dem Papst sowie Astrologen zufolge der günstigste Augenblick in diesem Jahr schien. Dieser Zeitpunkt ergibt eine Zahlenpyramide 135797531 (1357. Jahr, 9. Tag, 7. Monat, 5. Stunde und 31. Minute). - Ja doch, Prag hat und ist ein bemerkenswertes Pflaster.

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Links zum Klicken

Galerie Rudolfinum
DOX
Trafo Gallery
4+4 Days in Motion
Projekt Kunsthalle Prag
Chemistry Gallery
Jiri Svstka
Nevan Gallery
Hunt Kastner

Mehr Texte von Aurelia Jurtschitsch

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