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The Singer Not The Song

1963 sind sie zusammengekommen, hatten mit „It’s All Over Now“, im Juni 1964 erschienen, ihre erste Nummer eins, und pflegten das Image von Rowdytum und Renitenz, das ihnen Andrew Loog Oldham, ihr Manager, auf den Leib diktierte. Wie jedes Image war auch dieses fern von aller Authentizität. Speziell bei Mick Jagger, der sich an der renommierten London School of Economics auf eine bürgerliche Karriere vorbereitete, der immer schon eine besondere Affinität zu allem Adeligen pflegte und in Gelddingen sehr bewandert blieb, kam ein solches Image aus der Retorte. Was indes auf das Plausibelste ins Milieu passte, das die Rolling Stones bald beherrschten, waren ihre Macho-Allüren, die sich nahtlos verlängerten in die Texte ihrer Songs hinein. „Play With Fire“, „Under My Thumb“ oder „Stupid Girl“ leben ganz von der Vorstellung der eigenen Unwiderstehlichkeit, und die Mädchen erzählen bestenfalls die „Story how you adore me“, wie Jagger in „Have You Seen Your Mother, Baby, Standing in the Shadow?“ von September 1966 dichtet. Solche Selbstinvestituren in einen Status des Anbetungshaften sind auf ihre Art provokativ. Und genauso beleuchten sie eine Szene, in der die Überheblichkeit regiert. Allemal ist es „The Singer Not The Song“, wie es ein Lied auf der LP „December’s Children“ von Ende 1965 zu verstehen gibt: „Ich weiß, ich habe recht, denn es ist der Sänger, nicht das Lied“. Wer sollte da widersprechen? Jedenfalls keiner, der sie auf ihrer momentanen Europa-Tournee bewundern darf.

Mein misslungenster Vortrag fand vor einigen Jahren auf einer Tagung statt, die den „Swinging Sixties“ gewidmet war. Der Veranstalter war sich nicht sicher, ob genügend Leute kommen würden. So ließ er einen Mitarbeiter, der in einer Beatles Revival Band spielte, seine Kontakte pflegen. Es kamen nun Afficionados in Revival-Laune, die nichts anderes hören und vorgeführt haben wollten als wie revolutionär und langhaarig und Dorfdisco-sprengend sie damals, vor einem halben Jahrhundert, gewesen waren. Ein paar von den durchweg wohlanständigen und wohlbeleibten Honoratioren hatten gar ein Banner mitgebracht, und so hielt ich meinen Vortrag über Pink Floyd und die Anfänge der Light Show (garniert mit ein paar Zeilen Jacques Lacan) vis-à-vis einer Fahne, von der der „Beatles-Stammtisch Aschersleben“ herunter grüßte. Solche Leute, stelle ich mir vor, recken ihre Identitäten jetzt auch bei den Stones hoch. In Erinnerung an eine Zeit, da man die Welt verbesserte, indem man einen Teil seines Ohres unsichtbar machte, zahlt man gern 200 Euro für eine Renaissance in Reihe 115. Bei der Süddeutschen Zeitung mussten sie letzte Woche dem Chefredakteur, der gerade 60 geworden ist, eine ganze Seite freigeben, damit der ein wenig im Seinerzeit schwelgen konnte.

Im Februar 1967 hatten die Stones, kaum auszudenken, ein Drogenproblem. In Redlands, dem Landsitz, der Keith Richards gehörte und damit eines von vielen Beispielen dafür abgab, wie die Neo-Aristokratie sich altadelige Lebensgewohnheiten zulegte, hatte eine Razzia stattgefunden. Richards, Jagger und der Galerist Robert Fraser waren dabei festgenommen worden. Es kam zu Aufruhr, Prozess und jenem Foto von Jagger und Fraser in Handschellen, das Richard Hamilton in einer Arbeit verwertete, der er den perfekten Titel „Swingeing London“ gab. Letztlich kamen die beiden Stones wieder frei, einzig Fraser, bei dem Heroin gefunden worden war, musste für längere Zeit ins Gefängnis und konnte letztlich auch nie wieder richtig Fuß fassen. Eine entscheidende Rolle im Fortgang der Angelegenheit spielte ein Leitartikel der ehrwürdigen Londoner „Times“ vom 1. Juli 1967. Kein geringerer als der Herausgeber William Rees-Mogg hatte sich vernehmen lassen und sich unter dem Titel „Who Breaks a Butterfly on a Wheel“ dafür eingesetzt, die bunten Schmetterlinge weiter flattern zu lassen. Das alte Establishment hatte dem neuen eine ansehnliche Brücke gebaut. Während der Gerichtsverhandlung ließ sich Richards, berühmt für seine Wortkargheit, zu einer Bemerkung herbei: „Wir sind keine alten Männer, wir befassen uns nicht mit Spießermoral“.

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Abbildung: Richard Hamilton, Swingeing London 67 (f) 1968-9
Tate, London
@ The estate of Richard Hamilton, © Bildrecht, Wien 2017 / Foto @ Tate

Mehr Texte von Rainer Metzger

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