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Die zerrissene Republik

Das beste an Österreich ist eindeutig die Sammlung Verbund. Was gerade im mumok zu sehen ist, bricht insgesamt alle Rekorde an Vorzeigbarkeit. So werden „die Mitarbeiter“ mit „Exponaten konfrontiert“, die „Tabus brechen“, und das „bereits seit 2004“, vor allem in Gestalt „feministischer Avantgarde seit den Siebzigern“. Dieser „Mut für (sic!) disruptive Kunst“ ist vor allem „auf den Konzernlenker“ zurückzuführen, und der wird, Wolfgang Anzengruber, beim Namen genannt. Dass Gabriele Schor, die das alles aufgebaut hat, nicht vorkommt, ist dann womöglich doch das Sprechendste an dieser seltsamen Eloge. Denn ihr Autor Hans-Peter Siebenhaar ist Österreich-Korrespondent des „Handelsblatts“. Wie sein Medium kommt er aus Deutschland. Gerade hat er, wirtschafts- und politikkompetent, wie er ist, ein Buch über sein Gastland publiziert.

Das meint es eher sehr kritisch mit der „Alpenrepublik“ (der Begriff kommt en gros vor). Siebenhaar hält sie titelgebend für „zerrissen“ und ihr auf 250 Seiten garstig den Spiegel vor. Von der Sammlung Verbund abgesehen wird sehr tugendhaft gegeizt mit freundlichen Worten. Ein paar „Pluspunkte“ werden lose verstreut, „die landschaftliche Schönheit, den kommunikativen Charme, die professionelle Gastfreundlichkeit, die exzellente Infrastruktur und einiges mehr“ betreffend. Ansonsten zieht sich eine etwas altväterliche Grimmigkeit durch das Buch. Und früher war alles besser.

Heute sieht es, Kapitel für Kapitel vorgestellt, so aus: Erstens hat die Hypo Alpe Adria das ökonomisch Skandalöse auf den Punkt gebracht, was zweitens moralisch skandalös in der Haltung gegenüber Migranten und drittens politisch skandalös in den Machenschaften der FPÖ zutage tritt. Viertens vollführen auch alle anderen einen Rechtsruck, was fünftens zum Verlust an ausländischen Investoren führt, die sechstens sich auch inländerseits zurückziehen und beispielsweise nach Bratislava abwandern. Siebtens lässt man zum Ausgleich obskure Oligarchen ins Land oder achtens Vorzeigemilliardäre wie Mateschitz die Idylle mit roter Soße überziehen. Um zu retten, was zu retten ist, wird neuntens ein Turbo-Tourismus exerziert, der längst zerstörerisch wirkt. Zehntens sind die Medien allzu verzahnt mit allerlei Interessenspolitik, was elftens dazu führt, dass dem weltweit grassierende Fake News-Wahn keine seriöse Berichterstattung entgegensteht und auch, zwölftens, keine Kunst, die sich nämlich in „Gefallsucht“ erschöpft. Dreizehntens ist das alles kein Wunder, denn das Land badet sich in geschichtlich gut abgezirkelten Ressentiments: der Türkenphobie, dem Opferstatus, dem Beamtenbyzantinismus und insgesamt dem „Phantomschmerz“ alter Größe.

Nicht, dass eine solche Philippika unverdient wäre. Doch weiß Siebenhaar selber, dass er womöglich nicht ganz der Richtige ist, sie über die liebliche Landschaft zu donnern. „Du gehst weg von Österreich!“, sei festgestellt worden, so Siebenhaar im Vorwort: „Ein Buch von einem Deutschen über Österreich. Damit kannst du es dir nur mit allen hier im Land verderben.“ Darüber hinaus ist die Remedur, die der Autor verschreibt, ein wenig zu simpel. Sie heißt Neoliberalismus, findet eine zweite Vorzeigefigur in Hans-Peter Haselsteiner und faselt sehr einschlägig vom „New Business Model“ und vom „sich neu erfinden“. Alles sehr neo also. Das Buch ist schlechterdings selber ein Schnellschuss, und die Kurzatmigkeit, mit der es auf das letzte Jahr reagiert, kommt leider auch im Durchwinken durch jede Form von Lektorat zum Tragen (am schönsten misslungen die Überschrift „Brain Train“). Vielleicht dürfen wir 2016 bald zu Grabe tragen. Das gelte dann auch für das Buch.

Im Jahr 1995 gab es, Rudolf Scholten und Caspar Einem saßen beispielsweise in der Regierung, Nationalratswahlen. Wir waren in Seckau und wollten mithilfe des Wahlscheins unsere Stimme abgeben. Es war halb zehn in der Früh, und das Lokal war schon wieder geschlossen. „Wer jetzt noch wählt, wählt sowieso das Falsche“, sagte der Mensch von der Gemeinde und ließ uns stehen. Früher war nicht alles besser.

Hans-Peter Siebenhaar, Österreich. Die zerrissene Republik, Zürich: Orell Füssli 2017

 

Mehr Texte von Rainer Metzger

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