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Interstellar Overdrive

„Die Band betrat die Bühne, als der Morgen seine ersten Fühler durch die riesigen Rosettenfenster ausstreckte. Das pulsierende Bassriff von Interstellar Overdrive zog die Menge in seinen Bann. Die Musik klang unheimlich, feierlich und beruhigend zugleich. Nach einer Nacht voller Spaß, Vergnügen und Acid wurde nun der heraufziehende Morgen gefeiert. Überall in der Halle hielten sich Menschen an den Händen. The Pink Floyd waren müde und spielten nicht unbedingt besonders toll, aber in diesem Moment waren sie wunderbar. Sie brachten die Gefühle der Menge zum Ausdruck. Syds Augen (= Syd Barretts, des Gitarristen, Sängers und Komponisten, R.M.) glühten, während die Töne, die er produzierte, in das heller werdende Licht glitten und sich der Morgen in seiner berühmten Silberscheiben-Esquire spiegelte. Die Lichter tanzten in der Menge. Dann kam die Wiedergeburt der Energie, ein neuer Tag, und mit der Sonne kehrte auch die Begeisterung zurück.“ Die Wiedergeburt der Energie, die Euphorie und der mit Acid, also LSD geölte Gemeinschaftssinn, die Pink Floyd ebenso verkörpern wie befeuern: Barry Miles, Chronist des Londoner Underground und Betreiber der Indica-Galerie, in der, aber das wäre ein anderes Thema, John Lennon Yoko Ono kennen lernte, beschreibt sie in der Erinnerung an jenen berühmt gewordenen 29. April 1967, der eine Initiation ins bald unvermeidliche Prinzip Festival darstellt. Mehr als 20 Bands traten damals im Londoner Roundhouse auf, kostenlos versteht sich, wieder einmal als Benefizaktion für die „International Times“, die erste Zeitung der Gegenkultur, und zur Bekundung des „New Movement“, als das man sich sah. Pink Floyd war der Top Act des Abends, und „Interstellar Overdrive“ das endlose, das endgültige Stück, das das Atmosphärische, Identität Setzende, Lebensgefühl Vermittelnde auf den Punkt brachte. Das Victoria and Albert, das weltweit bedeutendste Museum für Kunstgewerbe, bezieht seit Längerem in seine Zuständigkeit die Vergangenheit des Pop ein. Nach den Kostümen der Hollywood-Filme, nach David Bowie oder den Rebellen und Revolutionen in den Sixties generell nun also die Combo aus Cambridge. Fünfzig Jahre Pink Floyd, das ist schon eine Retrospektive wert. „Their Mortal Remains“ ist die Schau, die seit diesem Wochenende geöffnet ist, betitelt. Doch auch Syd Barrett, Mastermind des ersten Jahres, wird bedacht. Damit sind wir wieder bei „Interstellar Overdrive“, dem Signaturwerk, dem Hauptstück, neun Minuten 41 Sekunden lang, auf „The Piper at the Gates of Dawn“, der ersten LP, an der man in den Abbey Road Studios arbeitete, während nebenan die Beatles Sergeant Pepper lauschten. Im Januar 1966 veröffentlicht die amerikanische Gruppe „Love“ ein Lied mit dem Titel „My Little Red Book“. Komponist des Liedes ist Burt Bacharach, dessen „Raindrops Keep Falling on my Head“ genauso wie sein „What’s New, Pussycat“ zu den Standards des Pop gehören. Die Eingangspassage des „Love“-Songs ähnelt deutlich jener von Interstellar Overdrive. Wie kam es dazu? Peter Jenner, der Manager von Pink Floyd, hatte angeblich die Passage von „Love“ im Kopf und konnte sie nicht zuordnen. Daraufhin pfiff er sie, um sie zu identifizieren, seinen Musikern vor, mit dem Ergebnis, dass Syd Barrett sie zum Ausgangspunkt, zum Ansatzpunkt von „Interstellar Overdrive“ nahm. Appropriationen, Aneignungen, Übernahmen sind das Elixier des Pop, wenn nicht der gesamten Moderne. Doch vollziehen sie sich gemeinhin zitathaft, in Prozessen der Erweiterung der eigenen technischen Möglichkeiten, in Kontexten, wo das eine mitgemeint ist in der Feststellung des anderen. Die Referenz, die bei „Interstellar Overdrive“ hergestellt wird, verdankt sich demgegenüber der puren Unmittelbarkeit. Sie ist spontan, geleitet über zwei Stationen, die allein über das Hören miteinander in Kontakt treten. Da geht es nicht um den Sender, nicht um den Empfänger. Man ist auch überhaupt nicht bei irgendeiner Sache. Was die beiden verbindet, sind die Tiefen oder Seichtheiten eines Sekundenappells. Was die beiden verbindet, ist der Kanal. Anfangs- und Endpunkt sind zwei Körper, deren Bindung aneinander in dieser momentanen Situation aus purer Sensualität besteht. Die Appropriation, die hier passiert, ist Sache einer Augenblicksempfindlichkeit, einer Idiosynkrasie. Es entsteht eine der aufregendsten Eingangssequenzen des Pop. Und Idiosynkrasie wird mehr und mehr zum Motor der ästhetischen Entwicklung. pinkfloydexhibition.com
Mehr Texte von Rainer Metzger

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