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Phantastischer Kapitalismus: Kunst ohne Kapital?

Auf den New Yorker Mai-Auktionen bei Sotheby’s, Christie‘s und Phillips lief es dieses Jahr nicht nur ganz gut, sondern ausgezeichnet: Während Christie‘s doppelt so viel Umsatz wie im Jahr zuvor machte, biss beim über Sotheby’s angebotenen „Jean-Michel Basquiat, Untitled, 1982“ ein japanischer Milliardär für satte 110,5 Millionen Dollar (inkl. Aufschlag) an. Kunst soll unabhängig sein, man kauft sie, wenn sie gefällt und als Luxusgut will sie manch Künstler oder Galerist schon gar nicht einstufen. Es ist ein ewiges Leid - Kunst und Kapital - aber ohne geht es irgendwie doch nicht! Diese Problematik der nach Akkumulation strebenden Gesellschaft greift die Gruppenausstellung „Phantastischer Kapitalismus“ in der Galerie GPLcontemporary auf. Zitiert wird im Titel die Wiener Schule des Phantastischen Realismus (Arik Brauer, Ernst Fuchs, Rudolf Hausner & Co), gemeint ist allerdings das Irrationale, Unkalkulierbare oder Apokalyptische, das unser Wirtschaftssystem innehat und somit dem früheren Absolutheitsanspruch der Weltreligionen gleichkommt. Die Ausstellung umfasst medienübergreifende Arbeiten von Künstlern, die sich mit der Thematik von Kapital, Soziologie, Stadtentwicklung und Politik auseinandersetzen. So dokumentiert Andreas Siekmann in seiner Zeichnungsreihe „die Exklusive – Zur Politik des ausgeschlossenen Vierten“ die Ausbreitung der vierten Gewalt (die Exklusive), die seit der Gründung der Nationalstaaten neben der Exekutive, Legislative und Judikative existiert. Dargestellt wird diese als Karussell um den Sockel einer überdimensionalen Statue Friedrichs II., mit dazu illustrierten Zeichnungen, die digital bearbeitet wurden. Isa Rosenberger beschäftigte sich in ihrer eine Geschichte erzählenden Fotodokumentation mit einer „postsozialistischen Leerstelle“ im Stadtraum Bratislavas: Ein Brunnen („Wasservorhang“ als Synonym zum Eisernen Vorhang) aus den 60er Jahren wird zur Bühne eines städtischen Theaters, dessen Protagonisten Passanten, die Künstlerin, eine Übersetzerin und eine Reinigungskraft sind. Sabine Bitter und Helmut Weber greifen in ihren fotografischen Objekten den Einfluss von Politik auf den städtischen Raum auf. Als Exempel diente ihnen die Frankfurter Goethe Universität, die den Sprung von der Bürgerstiftung zur Massenuniversität, angesehenen philosophischen Frankfurter Schule (Theodor W. Adorno, Max Horkheimer u.a.) und zu einer der forschungsstärksten Universitäten (drei Exzellenzcluster) Deutschlands schaffte. Gemeinsam mit dem Stadtsoziologen Klaus Ronneberger untersuchte das Künstlerduo architektonische Meilensteine auf dem Weg zur Exzellenzuniversität, die sich als fotografische Objekte durch die Ausstellungsfläche ziehen und auf die unterschiedlichen Baustile der Frankfurter Universität anspielen (nationalsozialistische Architektur des I.G.-Farben-Haus bzw. der Nachkriegszeit). Neben Johanna und Helmut Kandls raumgreifenden, aus Zeitungsartikeln angeordneten Schachbrett-Installation hängen in den Stiegenaufgängen sehr dezent und versteckt einige schöne Malereien von Johanna Kandl. Daneben gibt es ein paar sehenswerte Filme, vor allem in der untersten Etage (die Ausstellung zieht sich über drei Ebenen): Kamen Stoyanovs Dokumentation „New Istanbul Dream“ wirft einen kritischen Blick auf den Neubau des Megaflughafens 35 Kilometer nordwestlich von Istanbul. In Oliver Resslers Film „There Are No Syrian Refugees in Turkey“ analysieren in Istanbul lebende syrische Flüchtlinge die türkische und europäische Politik aus ihrer Sicht. Ein Besuch lohnt sich, denn es gibt einiges zu sehen und auch der „Phantastische Kapitalismus“ zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung. Die Mechanismen des Wirtschaftsmarkts, die Anhäufung von Kapital, das Streben nach Autorität, die Auswirkungen auf die Gesellschaft und viele andere Themenfelder werden in den unterschiedlichen Arbeiten kritisch beleuchtet. Allerdings ist das Kapital Grundvoraussetzung unserer Existenz und damit auch jene der Kunst. Denn um zum Schluss Bourdieu zu zitieren, kann „das verleugnete „ökonomische“ Unternehmen des Gemäldehändlers oder Verlegers, in dem Kunst und Geschäft sich vermählen, […] selbst unter „ökonomischen“ Gesichtspunkten nur Erfolg haben, wenn es sich von der praktischen Beherrschung der Funktionsgesetze und spezifischen Anforderungen des Feldes leiten lässt.“ (Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst)

Mehr Texte von Désirée Hailzl

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Phantastischer Kapitalismus
29.04 - 02.06.2017

GPL Contemporary
1010 Wien, Sonnenfelsgasse 6
Tel: +43 1 236 9 236, Fax: +43 1 236 9 236 9
Email: galerie@peithner-lichtenfels.at
http://www.peithner-lichtenfels.at
Öffnungszeiten: geschlossen


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