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Haus mit Augenbrauen

Haus ohne Augenbrauen wurde das berühmte Looshaus am Michaelerplatz nach seiner Fertigstellung 1910 von den enttäuschten Wienern genannt, wegen seiner asketisch glatten Fassade und dem Fehlen der sonst üblichen Fensterverdachung. Ein halbes Jahrhundert später zog der nüchterne Stil von Adolf Loos seine Spuren durch die Wiener Architektur des Historismus, so mancher Dekor des Historismus und des Jugendstils wurde von Häusern der Gründerzeit als obsolete Zutat und geschmäcklerische Beschmückung abgeschlagen. Dass mit der Befreiung von der Wucht der Ornamente auch die gliedernde Struktur der Fassaden geopfert wurde, wurde in der Euphorie oft übersehen. Als ein Exempel für dieses Missverständnis stand bis vor kurzem das "VARTA Haus" in der Mariahilfer Straße. Bis 2006 hielt es den reichhaltigen Fassaden des Kunsthistorischen Museums und der anderen unversehrten Gebäude am Beginn der Mariahilfer Straße ein kahles Äußeres entgegen. Im Zuge der Errichtung des modernistischen Dauchaufbaus suchte man auch die Fassade durch Applikation von quasi-historistischen Elementen zu verbessern. Noch nicht zufrieden mit dem Resultat startete 2015 der Besitzer des Hauses, Michael Toyner, einen künstlerischen Wettbewerb, dessen Ausgang am 30. März dieses Jahres präsentiert wurde: Peter Sandbichlers Intervention an der Fassade, das Haus mit Augenbrauen. Der Künstler hat in diesem Titel eine mehrdeutige Reflektion auf das Looshaus, dessen unmittelbare Rezeption wie auch auf die verletzenden Bereinigungen des Stadtbildes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts artikuliert. Nach gründlicher Recherche von Fotos und Plänen in Archiven und Gesprächen mit Historikern hat sich Peter Sandbichler für die Beibehaltung einer prinzipiellen Ordnung der historistischen Fassade entschieden, an welcher er seine Neuerfindung orientierte: Die Fenster sind betont umrahmt, die Nullflächen ruhiger behandelt. Nach oben nimmt die Tonart des Formenspiels ab und zugleich nimmt die Tiefe der Vorsprünge zu. Der Mittelrisalit an der Seite gegen den Getreidemarkt dominiert auch optisch die Flanke des Hauses. Sandbichlers Komposition entspricht der historischen Dramaturgie an Gründerzeithäusern, deren traditionelles System er in seinem sehr spezifischen Formenvokabular realisiert und so in die Gegenwart übersetzt. Das Gesamtbild der Fassade fügt sich dadurch der historischen Umgebung bruchlos ein und präsentiert gleichzeitig Gegenwärtigkeit. Dieses Formenvokabular lässt den Kenner schnell auf den Urheber schließen. Charakteristisch ist die sparsame Vorgangsweise mit wenigen geometrischen Formen, die als Module die Basis für eine komplexe Totalität sind. In Wiederholung, Drehung und Spiegelung variieren sie das Zusammenspiel und strukturieren das Gesamtgefüge. Diese künstlerische Praxis führte nicht nur zur optischen Beruhigung und Geschlossenheit des Ganzen, sondern hatte auch für den Bauherrn große Vorzüge, denn die Herstellung von möglichst vielen gleichen Teilen wirkte sich durchaus kostenminimierend aus. Die einzelnen Bausteine wurden in einem aktuell entwickelten Material gegossen, das zu über 90 Prozent aus Recyceltem Altglas besteht und dessen spezifische Qualität in der Verbindung von großem Volumen mit geringem Gewicht liegt. Die Verwendung dieses Baustoffes stellt zugleich auch eine theoretische Ergänzung der konzeptuellen Herangehensweise von Peter Sandbichler dar, der vorzugsweise mit Karton, d.h. gebrauchten Verpackungen arbeitet und diese sowohl im Modellbau einsetzt wie auch im vollendeten Werk. Die geometrischen Formen, die sich auch massiv in die Höhe und Breite türmen und darin an Werke des Manierismus, der 1930er Jahre oder an den tschechischen Kubismus erinnern, fächern die enorme Fassade in ein breites Spektrum an Licht- und Schattenwerten auf. Die in schlichtem Weiß gestrichene Fassade bricht ihre Oberfläche in klaren Flächen auf, richtet sie auf zu kantigen Volumina und greift in den sie umfassenden Raum. Die Grenze an sich reißend erhebt die Fassade Anspruch auf ihre unmittelbare Umgebung – Peter Sandbichler hat deutlich die Spur eines Bildhauers hinterlassen, sein Werk gleicht einer gemeißelten Skulptur.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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