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Plein Air und staubige Arbeit

Bemerkungen zu einer Kunstgeschichte des Toxischen


John Constable: Cloud Study, Öl auf Papier, 1822, Tate Britain

Die Abstraktion beginnt mit der Himmelsschau. Es sind die Wolken, in denen manche den Ursprung der Moderne identifizieren. John Constables Studien zu Beginn des 19. Jahrhunderts sind für diese Deutungen beispielgebend. Die flüchtigen, windgetriebenen Erscheinungen am Himmel werden zum Anlass für malerische Experimente. Malerei ist eine Direktübertragung, zumal, wenn es sich um dunkle Mischungen handelt. Von dem düsteren Farbfleck Constables ist es nicht weit zur abstrakten Geste. Neben dem Tache, dem Fleck, dem Tupfer, von dem zum Beispiel Werner Hofmann als Inbegriff der Loslösung vom Gegenständlichen schwärmt, ist es der Nebel, der in der avancierten Kunst entdeckt wird. Freilich ein halbes Jahrhundert später. Der Dunst legt sich als Schleier über das ganze Bild. Einer überspitzten Bemerkung Oscar Wildes zufolge gäbe es in London den Nebel erst, seit James McNeill Whistler ihn gemalt hätte. Damit ist es gelungen, den Streit zwischen Repräsentiertem und Repräsentanz zugunsten letzterer zu entscheiden. Noch eine Zutat der Meistergeschichte der Moderne. Doch, und dieser Einwand ist ernst zu nehmen, die Ästhetisierung der weichen Tonwerte ist ohne die Industrialisierung nicht zu denken. Ganz abgesehen von den sozialen, ökonomischen und ökologischen Begleiterscheinungen. Wenn Nebel und graue Luft ausblieben, dann hielten die Londoner des 19. Jahrhunderts dies für ein schlechtes Zeichen, so schreibt Christine L. Corton in The London Fog. The Biography. Klar, denn dann standen Hochöfen und Werkbänke still. Der intellektuellen Unterfütterung der künstlerischen Moderne gelang es dennoch, ökologische Veränderung als Ergebnis genialischen Kunstwollens darzustellen.


James McNeill Whistler: Nocturne. The River at Battersea, Öl auf Leinwand, 1870-75, Freer Sackler, The Smithsonian, Washington

Gegenwärtig kommen diese - bürgerlichen, eurozentrischen und kapitalistischen - Erklärungsmuster unter Druck. Nicht zu Unrecht. Grund sind materialistische Wendungen, nicht nur in der Philosophie, auch in den Medien- und Kulturwissenschaften. Der Begriff des Anthropozän ist dafür bester Beleg. Geschichte wird nicht nach menschlichen Dimensionen ermessen, sondern unter geologisch-biologischem Langzeitblick. Paul Crutzen, niederländischer Nobelpreisträger, bringt den Terminus erstmals 2002 ins Gespräch. Vor wenigen Monaten findet er von der internationalen Wissenschaftsgemeinde offizielle Anerkennung. Crutzen beginnt seine Argumentation mit der Dampfmaschine. Er setzt den Beginn der geologischen Menschheitsgeschichte just in jenem Zeitraum an, als Constable seinen Kopf nach oben zu den Luftbewegungen dreht. (S. 23) Zuerst ist es nur die Kohle, dann folgen andere fossile Energien, die das Zeitalter des Anthropozän antreiben. Daraus sind unbedingt Lehren für die Kunstbetrachtung zu ziehen. Die Wolken sind keine subjektiven Markierungen, malerische Spontanerfindungen, die später Impressionismen und gestische Kürzel werden, sondern durch Metalle und Minerale kontaminierte Atmosphären. Das schöne Wort von der Freilichtmalerei (plein air) ist irreführend und wohl besser verstanden, würde man es wörtlich verstehen, als “volle Luft”. Tatsächlich ist die Luft mit Partikeln versetzt, angereichert mit toxischen Pigmenten. Constable und Whistler malten den Himmel nicht, sondern dieser sich selbst. Die Moderne muss folglich neu erzählt werden, als eine Geschichte fossiler Ressourcen, in denen chemische und metallurgische Innovationen schlagend werden. Daran hat sich seit der Digitalisierung nichts geändert. Die Cloud ist mittlerweile überall, gemalt wird auf den verglasten Silikaten der Tablets. Die Hardware darunter bleibt toxisch. Und es ist nicht anders als bei den Schloten des 19. Jahrhunderts. Die warme, schmierige Luft ist ein Kennzeichen aktiver Produktivkräfte, um nicht zu sagen, billiger Arbeit. Datenverarbeitung gibt Wärme ab. Thomas Pynchon sieht den zukünftigen Aufenthaltsort der Medien deshalb im Permafrost. Die Allzeitkälte des Nordens ist die beste Ökologie für beständige Server. Oder wie ein Facebook Manager in Andrew Blums Buch Tubes zusammenfasst. “This has nothing to do with clouds. It has everything to do with being cold.” (S. 258) Der Norden sichert das Wissen in der Kühle, und verlegt staubige Arbeit in die Minen des Südens.

Andrew Blum: Tubes. A Journey to the Center of the Internet, New York, 2012 Christine L. Corton: London Fog. A Biography, Harvard University Press 2015. Paul J. Crutzen: Geology of Mankind. The Antropocene, in: Nature 415, Nr 3 (2002). Thomas Pynchon: The Bleeding Edge, Penguin Press, 2013.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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