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Erinnerung an Gustav Metzger

Der kleine Mann ganz links am Vierertisch ist Gustav Metzger. Dünn, mit Glatze und Vollbart, Asket durch und durch und sichtlich erfüllt von seinem Programm ist er der Mastermind der Veranstaltung, die – neben ihm sitzen Wolf Vostell, Al Hansen und Juan Hidalgo – Gleichgesinnte aus aller Welt nach London gebracht hat. Auch Österreich hat eine Delegation vorbereitet, jene ein wenig geschmacklose Truppe, die später „Wiener Aktionisten“ genannt wird, hat ihren ersten internationalen Auftritt. Ernst Jandl textet, und Peter Weibel, blutjung, lernt kennen, was man können muss als Impresario. Das „Destruction in Art Symposium“ geht im Africa Center über die Bühne, das Datum ist September 1966, und London fängt gerade an, sein Swinging zu verlieren. Emphase wird durch Versponnenheit abgelöst, an die Stelle der Mods setzen sich die Hippies, und der Aufbruch kristallisiert sich ein ins narzisstische Kreisen um sich selber. Das Symposium markiert so etwas wie den Schlüsselmoment. Statt Pop gibt es nun Conceputal. Gustav Metzger, Wolf Vostell und Al Hanson, gezeigt im Rahmen der Ausstellung "Art & the Sixties. This was Tomorrow", Tate Britain, 30. Juni bis 26. September 2004, Foto: Tom Picton, Leihgabe der Familie des Künstlers Wie immer in der Kunst sollte mit Sinn um sich geworfen werden. Destruktion war nicht so gemeint, denn im Geist von Dada, Surrealismus, Fluxus war jede Geste Happening und das Hantieren mit gefährlichem Zeug eine Transformation des Materials. 1961 hatte Metzger an der Londoner South Bank diesbezüglich vorbildlich agiert. Er hatte drei Nylonplanen aufgespannt, suprematistisch konkret in Rot, Schwarz und Weiß gehalten, um sie mit Säure zu traktieren. Die Zersetzung war geplant, aus der Zerstörung erwuchs neues Leben und die tote Stofflichkeit erfuhr ihre Sublimierung in die Freiheit des Gedankens. Kunst pur. Gustav Metzger, dessen eingedenk, hatte immer auch noch eine zweite Existenz: als Anti-Atom-Aktivist, als politischer Mensch, als wacher Zeitgenosse. Das war er sich als Emigrant, der mit einer der Verschickungen jüdischer Kinder von Nürnberg nach England gekommen war, schuldig. 91-jährig ist er nun gestorben. Der Kunstbetrieb hat ihn spät, aber dann mit Vehemenz vereinnahmt. Justin Hoffmanns 1992er Dissertation über „Destruktionskunst. Der Mythos der Zerstörung in der Kunst der frühen sechziger Jahre“ war eine wichtige Etappe. Zum Zenit kam es vor fünf Jahren, als Metzgers frühe, großformatige, für ihren Entstehungszeitraum um 1950 füglich konventionelle Zeichnungen in der Documentahalle zum Defilee antraten. Wie oft bei derlei Spurensicherungen werden die Dokumente zu Monumenten. Gustav Metzger war vor allem eine Figur, und entsprechend wirken seine Relikte dann als Reliquien. Es gibt in der Geschichte der Pop-Musik eine wunderbare Liste aus den letzten Novembertagen des Jahres 1964. Es geht um eine Abrechnung der Kosten und der Gewinne in einer Woche, es geht um die frühen „The Who“. 370 Pfund haben die vier von der Band in dieser Woche auf ihrer Habenseite. Allerdings stehen sie mit deren 2.000 im Soll. 1.600 Pfund Verlust in den paar Tagen, die Woche ist keine Ausnahme, denn speziell das Geld für Ersatzteile brauchen sie allzu oft. Das liegt daran, dass sie immer ihre Gitarren zerschlagen, die Drums haben auch meistens zu leiden, und die Mikrophonständer sowieso. „Smash your guitar“, rekapituliert Pete Townshend, der Bandleader, sei ihm immer zugerufen worden, und er ließ sich das nicht zweimal sagen. Townshend ist, wie so viele Vorkämpfer des Pop, an einer Art School sozialisiert. Gustav Metzger war da so etwas wie die Graue Eminenz. Gitarrenzerschmeissen war ein Aggregatszustand von Destruction in Art. Gerade hat Townshend sich zu Wort gemeldet und an Metzgers Mäeutik für das Performative an Pop erinnert. Townshends Statement steht für das, was bleiben wird an diesem Werk.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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