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Die Welt retten?

Jüngst distanzierte sich Christine Macel, die Leiterin der diesjährigen Venedig Biennale, von „einer Kunst, die die Welt retten will“. Britta Peters, jetzt eine der Kuratorinnen der Münsteraner Skulptur Projekte, wiederholte die gleichen, überaus polemischen Worte nur gut eine Woche später, ebenfalls auf einer Pressekonferenz. Das überrascht schon: Ausgerechnet angesichts der aktuellen, extrem düsteren politischen Weltlage grenzen sich zwei Kuratorinnen wichtiger Großausstellungen überaus vehement von politisch-engagierter Kunst ab, denn klarerweise ist diese Kunst mit „Kunst, die die Welt retten will“ gemeint. Interessant, besser: erschreckend, wie beide ihre polemische Distanzierung begründen: Macel bevorzugt „humanistische“ Kunst, Peters besteht darauf, dass Kunst ihre „Autonomie“ nicht verliert. Da weiß man nicht ob man weinen oder lachen soll: Politische Kunst ist also nicht humanistisch und nicht autonom?! Ersteres ist so dumm, dass es nicht lohnt darüber nachzudenken. Dem Vorwurf politische Kunst würde die Freiheit der Kunst aufs Spiel setzen aber sei kurz entgegnet, selbstverständlich mit Peter Bürgers Überlegungen aus seinem immer noch lesenswerten Buch „Theorie der Avantgarde“ (1974). Dort nämlich weist Bürger darauf hin, dass die „Autonomie der Kunst eine Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft ist. Sie erlaubt, die geschichtlich entstandene Herauslösung der Kunst aus lebenspraktischen Bezügen zu beschreiben“. Zweierlei ist hier entscheidend: 1. ist die künstlerische Autonomie keine gottgegebene Definition von Kunst, sondern eine „ideologische Kategorie“ der bürgerlichen Gesellschaft und ist somit durchaus verhandelbar. Genau dieses hat dann bekanntlich bereits in der Avantgarde Anfang des 20. Jahrhunderts stattgefunden als z. B. angewandte Kunst im Bauhaus oder politisch orientierte Kunst, wie etwa im Russischen Konstruktivismus, dem Postulat einer „nicht zweckrational gebundenen Sinnlichkeit“ widersprachen. 2. führt die Autonomie der Kunst zu ihrer Loslösung vom so genannten richtigen Leben und dieses, ein letztes Mal sei Peter Bürger zitiert, „transformiert sich in die (falsche) Vorstellung von der totalen Unabhängigkeit des Kunstwerks von der Gesellschaft“. Warum aber führt Britta Peters – wider besseren Wissens? – die Kategorie „Autonomie“ gut 40 Jahre nach dem Erscheinen des längst zum kunsttheoretischen Kanon gehörenden Buches, dennoch ungebrochen ein in die Diskussion? Weil diese Kategorie ihr erlaubt in Zeiten wie diesen mit dem art-business as usual weiter zu machen wie zuvor, eben abgelöst von der desaströsen politischen Situation. An der gerade veröffentlichten Künstlerliste der Skulptur Projekte ist genau dieses präzise ablesbar.
Mehr Texte von Raimar Stange

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