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Zum 85sten

Die große Kette des Seins ist zersprungen. Die Welt ist zerfallen in Evidenzen. Zusammenhänge stellen sich um so weniger her, je bunter das Offensichtliche prangt. Kaum ein Künstler stattet die Einzelheit mit größerer Attraktivität aus als Gerhard Richter. Kaum einer, der das Metier des Malens so virtuos handhabt. Kaum einer auch, der die Tatsache, dass er es beherrscht, so gnadenlos vorführt. Keiner schließlich, dem die Gegenwart das Faible für die Meisterlichkeit so wenig übel nimmt. Und das seit genau 55 Jahren, seit 1962, als er sein Werkverzeichnis mit einem „Tisch“ beginnen ließ. Entsprechende 85 ist Gerhard Richter am 9. Februar geworden. Er „beschenkt sich und die Welt“, wie man das bei Jubilaren seiner Dimension nennt, aus diesem Anlass mit einer Ausstellung seiner jüngsten Produktion. Nutznießer dieser Bescherung ist das Kölner Museum Ludwig, das nun 26 Gemälde vorstellen darf. Allesamt sind sie abstrakt, allesamt nach wie vor bunt und voller Evidenz, und allesamt, womöglich dem fortgeschrittenen Alter dessen geschuldet, der hier mit altmeisterlichem Öl zum Teil auch auf noch altmeisterlicherem Holz hantiert, eher kleinformatig. Zusätzlich passiert Revue, was sich in Köln an Oeuvre des Meisters angesammelt hat: Die „Fünf Türen“ von 1967, die „48 Porträts“ aus den 70ern oder eine frühe, schier gestische Abstraktion von 1981. All das Unscharfe, Serielle, Ausschnitthafte, all die Beweise eines existentiellen Sic!, das Richter einst in einem Gespräch mit Jan Thorn-Prikker bemerkenswerter Weise folgendermaßen auf den Punkt gebracht hatte: Frage Thorn-Prikker: „Was ist Ihr Standpunkt? Registrieren?“ Antwort Richter: „Auch das. Und Trauer, Mitleid und Trauer. Sicher auch Angst.“ Frage: „Trauer worüber?“ Antwort: „Dass es so ist, wie es ist.“ Richters Umkreisen dessen, dass es ist, wie es ist, hält seine Arbeit auf unübertreffbar geschickte Weise aktuell. So trifft die Knalligkeit auf die Undeutlichkeit, trifft das Ungegenständliche auf ein postmodernes Wissen um eine Kunst nach dem Modernismus. Trifft das Spätwerk auf die Zeitzeugenschaft und das Kalkül auf den Zufall. Und alles in allem trifft der Secondary Market auf die Überweltlichkeit der groß geschriebenen Kunst. Es trifft die Ökonomie auf die Theorie. Anders im Grunde als bei allen anderen seiner Generation ist Richters Schaffen ein Diskursphänomen geblieben. Man arbeitet sich an ihm ab, und sei es, jüngst von Wolfgang Ullrich zum Problem gemacht, an dem füglich totalitären Bestreben, „ein publizistisches Deutungsmonopol zu errichten“. Richter gibt nicht Ruhe. Müßig anzumerken, dass ihn das in Bewegung hält. Und auch wenn nur reichlich Farbe mit der Rakel verteilt ist, stehen seine Gemälde für all die Phantasmen einer Ganzheit in der Vielheit, einer Vereinigung der Gegensätze und eines Aushaltens der Widersprüche, von denen man umgarnt ist, wenn man sich in Kunst einspinnt. Und für die man dann in die Geschichte eingegangen sein wird.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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