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From this day forward…

Brecht, Lindbergh und Trump


Charles Lindbergh: Rede vor dem “America First Commitee”, De Moines, Iowa, 11. September 1941

Musikalisch ist es mit einem Oratorium vergleichbar, mit Sängern und begleitendem Chor. Es nennt sich Drama oder Lehrstück. Nur zwei Jahre nach Charles Lindberghs spektakulärem Flug übersetzt Bert Brecht Lindberghs autobiografische Notizen in ein Bühnenstück mit Musik. Der Lindberghflug (1929) ist eine Art literarisch-musikalisches Historienbild, das die Gegenwart als Zukunft feiert. Sing along des Publikums inbegriffen. Die erste Atlantiküberquerung mit dem Flugzeug ist aber mehr. Sie ist Beweisstück für die Errungenschaften der technischen Moderne. Doch keine Aufklärung ohne Dialektik, kein Überflug ohne Basis. Brecht, der Theaterreformer und linke Aktivist, vergisst nicht, die Arbeiter zu nennen, die das Flugzeug bauen. Er lässt den berühmten Flieger und Pionier intonieren: “Sieben Männer haben meinen Apparat gebaut in San Diego / oftmals 24 Stunden ohne Pause / aus ein paar Metern Stahlrohr.” Lindbergh startet 1927 in New York und landet in Le Bourget bei Paris. Es ist der Jetstream, der diese Richtung empfiehlt. Der Strukturwandel von Arbeit und Produktion nimmt den gleichen beflügelnden Weg, von Detroit in den Ruhrpott, von Ford zu Krupp. Die verheerenden Folgen des Börsenkrachs ebenso. Folgt man dem Historiker Ian Kershaw, dann gibt es nach 1929, dem Jahr, in dem Brecht und Weill ihr Drama uraufführen, in den meisten europäischen Staaten keine funktionierende Demokratie mehr. Nun geht es in umgekehrter Richtung über den Atlantik, von Europa in die USA. Die Diktaturen veranlassen einen beispiellosen Exodus. Vor allem die Avantgarde, jene, die für eine Kultur der Moderne eintreten, suchen - nachdem sie in ihrer Heimat verfolgt werden - in den Vereinigten Staaten Schutz. Der Aufstieg Amerikas als Kulturnation beginnt mit der Migration europäischer Intellektueller. Serge Guilbaut wird für den einzigartigen Transfer später einen griffigen Titel liefern: How New York Stole the Idea of Modern Art. Doch vorerst ist das Fremde das Thema. Von einem Tag zum anderen wird Lindbergh zum berühmtesten Mann der Welt, wenig später ideologischer Stichwortgeber. Er ist Populist und Pop Star, eine Mischkulanz mit Wirkkraft. Am 11. September 1941 spricht Lindbergh in De Moines, Iowa zu den Gesinnungsgenossen jener Liga, die ein US-Engagement im Zweiten Weltkrieg strikt ablehnt. Es gäbe drei Interessensgruppen, die für einen Krieg in Europa eintreten, die Briten, die Regierung, und die Juden. “Anstatt sich für den Krieg stark zu machen, sollten die jüdischen Gruppen dieses Landes mit allem, was ihnen möglich ist, dem Krieg entgegentreten, (...) weil sie die ersten sein werden, die seine Konsequenzen spüren werden.” Lindbergh versucht erst gar nicht, den antisemitischen Ton zu verbergen. Und er setzt zu einem Rundumschlag an, der klingt, als wäre er Rechtspopulismus von heute. “Die größte Gefahr für dieses Land liegt im Großgrundbesitz und dem Einfluss des Films, unserer Presse, unserem Radio und unserer Regierung.” Die Liga nennt sich America First Commitee (AFC). Brecht kann nichts mehr tun, als den Titel seines Werkes ändern. Es war zu einem Lehrstück für ihn selbst geworden. Ab 1950 wird es anonymisiert und heißt Der Ozeanflug. Die beiden Männer, Lindbergh und Trump, um die es hier geht, teilen mehr als blondes Haar, Pop Status und die Feindschaft gegen die Presse. Beide arbeiten mit der Überzeugung, dass sich ihr Land im Niedergang befindet, dass nur Patriotismus und - wenn man so will - ein nationaler Sozialismus aus der Fremdbestimmung helfen. Im März des vergangenen Jahres interviewt die New York Times den damaligen Präsidentschaftskandidaten Trump. David Sanger, der Reporter, fragt ohne Lindbergh als Quelle zu nennen, ob es zulässig sei, Trumps Außenpolitik mit dem Label “America First” kurzzufassen. Dieser antwortet in seinem typischen Staccato-Stil: “Nicht Isolationist. Ich bin kein Isolationist, aber ich bin ‘America First’”. Schon Brecht hatte empfohlen, den Text mechanisch zu sprechen. Sprache als Imitat der Maschine. Wer nun meint, Lindbergh steuerte immerhin ein Flugzeug alleine über den Atlantik, dem sei entgegen gehalten, dass Trump glaubt, er könne sein Land im Nachtflug in eine Zukunft manövrieren, als eine twitter solo show begleitet von einem Anti-Establishment-Arbeiterchor: “from this day forward”.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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