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Manifesto

Im Oktober 1921 war ein Text durch die Berliner Kunstwelt gegangen, der sich als „Aufruf zur elementaren Kunst“ verstand. Hier der zentrale Abschnitt: „Dieses Manifest gilt uns als Tat: Erfaßt von der Bewegung unserer Zeit verkünden wir mit der elementaren Kunst die Erneuerung unserer Anschauung, unseres Bewußtseins von den sich unermüdlich kreuzenden Kraftquellen, die den Geist und die Form einer Epoche bilden und in ihr die Kunst als etwas Reines, von der Nützlichkeit und der Schönheit Befreites, als etwas Elementares im Individuum entstehen lassen. Wir fordern die elementare Kunst! Gegen die Reaktion in der Kunst!“ Ein Manifest, und was für eines. Kennzeichen der allermeisten dieser emphatischen Verlautbarungen der orthodoxen Moderne ist es, dass man nach der Lektüre so klug ist wie vorher. Das liegt vor allem an der mitleidlosen Selbstbezüglichkeit all der Begriffe, die hier vehement aufgefahren werden. Nacheinander wird in diesem Aufruf an die „Tat“ appelliert, an die „Bewegung“, an die „Erneuerung“, an die „Kraft“ und ihre „Quellen“, an den „Geist“, die „Form“, ans „Reine“, ans „Befreite“ und immer wieder ans „Elementare“. Wonach sich die Tat richtet, wohin die Bewegung geht, wofür die Kraft gut ist und was überhaupt das Elementare ist: Es bleibt ungesagt. Manifeste wollen die ganze Welt in den Text zwingen. Deswegen entgeht ihnen der Kontext. In einer wunderbaren künstlerischen Aktion hat nun Julian Rosefeldt 60 Manifesten der vergangenen eineinhalb Jahrhunderte eine konkrete Umgebung verpasst. Rosefeldt vertritt, vergleichbar etwa Clemens von Wedemeyer, Edgar Honetschläger oder Hito Steyerl, im Kunstbetrieb das Kinematografische. Er macht Filme, doch ihr Ort ist die Ausstellung. Es gibt Parallelprojektionen, die Synchronisierung bezieht sich nicht auf die Sprache – die ist und bleibt handelsüblich englisch – sondern versucht Sequenzen, die auf diversen im Raum verteilten Leinwänden ablaufen, aufeinander abzustimmen, und die Narration verläuft gern diskontinuierlich. Außerdem gibt es Vorführungen nicht möglichst weit gestreut im Kino, sondern exquisit in jenen ausgesuchten Häusern, die man Museen nennt. Seit seiner Premiere Ende 2015 in Melbourne erlebt Rosefeldts „Manifesto“ eine spektakuläre Tournee. Momentan heißen die Stationen Sprengel Museum Hannover, Staatsgalerie Stuttgart und ab nächster Woche Villa Stuck München. Trailer zu Manifesto In zwölf Kapiteln zu je zehneinhalb Minuten Länge, die nebeneinander laufen, lässt Rosefeldt also Manifeste vortragen. Zum Teil sind es nur einzelne Sätze, bisweilen auch längere Passagen, und sie sind gegliedert in die alten Zuständigkeitsbereiche der Ismen. Ein Kapitel widmet sich dem Surrealismus, eines dem Futurismus, eines dem Situationsimus und so weiter bis zur Conceptual Art. Der Clou ist die Art des Vortrags. Cate Blanchett schlüpft in die zwölf zu jeweils einem Kapitel gehörenden Rollen, und sie ist, das Wort ist viel zu vage, hinreißend. Sie gibt die amerikanische Mittelstandsmutter beim Tischgebet und rezitiert Claes Oldenburg. Sie ist die düster diktatorische Choreografin und trägt Yvonne Rainer, George Maciunas oder Kurt Schwitters vor. Sie ist Baggerführerin in der Müllverbrennungsanlage, Nachrichtensprecherin und Reporterin in Personalunion, sie ist voll artifiziellem Liebreiz Eröffnungsrednerin auf der bourgeoisen Kunstparty, und sie ist mit zerrupftem Bart und verfaulten Zähnen Obdachloser. Alles ist in und um Berlin inszeniert, und es gab nur zwölf Drehtage für die zwölf Kapitel. Dafür ist die Mise-en-scène perfekt. Dass die Bilder manchmal ein wenig nach Gursky aussehen, ist dann der auch hier unvermeidlichen Vermarktung geschuldet. Cate Blanchett jedenfalls ist eine Schau. Wonach sich die Tat richtet, wohin die Bewegung geht, wofür die Kraft gut ist und was überhaupt das Elementare ist: Es blieb ungesagt im beispielhaften Manifest von 1921, ungesagt, bis einer kam, der nicht rief, sondern schrie. Der mit Reinheit Rassismus meinte, mit Bewegung den Nationalsozialismus, mit dem Elementaren Blut und Boden und mit der Tat die Auslöschung. Der die Vieldeutigkeit der Begriffe mit der Eindeutigkeit des Handelns versetzte, bis die Dynamik, die den modernen Manifesten ihre Unwiderstehlichkeit verleiht, sich zum rücksichtlosen Vorwärts banalisierte, zur Maschinerie der Gleichschaltung. Manifesto im Hamburger Bahnhof, Berlin Julian Rosefeldt verortet lächelnd und souverän das Prinzip Manifest in den alltäglichen Routinen. Da gehört es auch hin. Für die Gegenwart ist das fast so etwas wie ein Exorzismus.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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