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Tribalismus

Das Diktum vom Weltdorf war eine der attraktivsten Reden des letzten halben Jahrhunderts. „Global Village“, das klang vor allem nach Globalität, nach Zusammenwachsen, nach der großen Welt in der kleinen, und offenbar haben wir uns alle danach gesehnt. Dass das Weltdorf auch ein Dorf abzirkelt, war hinnehmbar, denn man dachte dabei an Montparnasse oder gleich, und da war es schon im Wort enthalten, an Greenwich Village, wenigstens an Prenzlauer Berg oder so etwas wie den siebten Bezirk in Wien. Vielleicht hätte man Marshall McLuhan, auf den das Wort zurückgeht, nur genauer lesen müssen. Sätze wie der folgende waren die einschlägigen: „Die elektronischen Medien des post-alphabetisierten Menschen schrumpfen die Welt zu einem Stamm oder einem Dorf zusammen, wo alles für jeden zur gleichen Zeit geschieht; jedermann weiß um alles, was geschieht, und nimmt daher an allem teil, was geschieht, im Augenblick, da es geschieht.“ Doch schon hier hatte der Medientheoretiker das Dorf im Global Village durch ein anderes näher bestimmt. Es lautete „Tribe“, Stamm, und so steht in seinem 1963er Schlüsseltext „The Agenbite auf Outwit“ gleich daneben auch dieser Satz: „Die tribalisierende Fähigkeit der neuen elektronischen Medien, die Art und Weise, in der sie uns wieder zu den vereinheitlichten Lebensfeldern der alten Oralkulturen zurückführen, zu Stammeszusammenhalt und prä-individualistischen Denkmustern, wird kaum verstanden.“ Wie es aussieht, haben wir das jetzt zu verstehen. Was die Welt gerade zusammenhält, ist in der Tat der Stammeszusammenhalt. Die Gegenwart findet sich wieder in der Retribalisierung. Es wird sich um einen Häuptling geschart, Homogenität leuchtet am Horizont, und die Überschaubarkeit der 140 Zeichen hat tatsächlich etwas von der griffigen Appellwirkung der alten Oralität. Widerspruch ist nicht vorgesehen in diesen wiedergefundenen Gemeinschaften. Das Elixier der Demokratie, der Dissens, wird flambiert in die Soße der Gleichmacherei. Die Massenmigration der letzten Jahre hat das Stammesprinzip vorgeführt. Erst als die Glückssucher in rauen Mengen kamen und sich die Grüppchen als Volksscharen aufmachten, waren sie nicht mehr abzuhalten von der Grenzen, wie immer man sie definierte. Der Tribalismus, mit dem der Westen reagiert, ist so gesehen eine Wiederholung. Schon bei den alten Römern war zu bemerken gewesen, dass die Germanen nicht mehr zu stoppen waren, als sie als Ströme über die Grenzen brandeten. Die erfolgreichste Ethnie, die wie keine andere zum Ende des Imperiums beitrug, waren die Hunnen. Sie hatten in Attila den gewieftesten Anführer, und noch mehr als eineinhalb Jahrtausende später kann man etwa im friulanischen Aquileia, einst Großstadt und eines der sechs Patriarchate des frühen Christentums, heute ein Weiler von 2.000 Einwohnern, erkennen, wie erfolgreich sie waren. Attila hatte das Vermögen seines Stammes allerdings auch überreizt, und nach seinem Tod brachen die Hunnen zusammen. Donald Trump in New Hampshire, 19. August 2015, Foto: Michael Vadon Derjenige, der sich aufmacht, der erfolgreichste Anführer des neuen Tribalismus zu werden, Donald „Agent Orange“ Trump, wird in diesen Tagen der 45. Präsident der USA.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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