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Philharmonie

Gemalt wird, weil gemalt worden ist. Das Prinzip Öl auf Leinwand, wahlweise Acryl auf T-Bond oder Tempera auf Holz, hat keine Chance in einer kulturellen Gegenwart, die auf Aufmerksamkeit setzt, auf Immersion, auf die Ekstasen der Sinnlichkeit und die Präsenz des Körpers. Dennoch wird gemalt. Die Tradition hat die Praxis am Wickel. Das Argument der Tizian – Velazquez – Manet – Matisse ist unhintergehbar. Und billiger ist eine Malerei auch als, sagen wir, ein Hollywood-Film. Musik wird gemacht, weil Musik gemacht worden ist. Bands werden gegründet, weil es einst die Beatles gab, zwei Akkorde reichen, denn Punk hat es vorgeführt, und wer ließe nicht gern den Computer laufen, weil die Digitalität immer schon so schön geklungen hat. Doch Pop ist immer auch aktuellste Gegenwart, denn Pop ist weniger Musik als Image, Attitüde, Frechheit und Geilheit und damit uneinholbar von der Geschichte. Pop ist weniger Musik, denn Pop ist mehr als Musik. Philharmonisiert wird, weil philharmonisiert worden ist. In keiner der künstlerischen Gattungen haben sich High und Low, E und U, Kanon und dessen Unterwanderung weniger zu sagen als im Bereich der Klänge, Töne und Geräusche. Es wird immer noch auf das Dogmatischste zwischen Ernst und Unterhaltsam geschieden. So existiert eine zeitgenössische klassische Musik Und von „Revolution # 9“ auf dem weißen Album der Beatles abgesehen, hat es keine dieser zeitgenössischen klassischen Musiken in eine Sphäre gebracht, in der sie millionenfach wahrgenommen wurde. Und auch bei „Number Nine“ pro Hörer dann nicht öfter als einmal in ganzer Länge. Elbphilharmonie, © Thies Rätzke Jetzt wurde wieder einmal eine Philharmonie eingeweiht. Als Gebäude ist sie durchaus eine Sensation, sie winkt beflissen den Hafengästen wie die Oper von Sydney und die Freiheitsstatue in Personalunion, reckt sich spitzig in die Wolken wie die utopischen Stadtkronen des deutschen Expressionismus und zeigt klirrend die Fahnen der maritimen Umgebung. Signaturbauten sind Kulturbauten seit Frank Lloyd Wrights Präzedenzfall des New Yorker Guggenheim. Herzog deMeuron, die Designer der Hamburger Elbphilharmonie, sind geübt darin. Auch Fußballstadien, die sie besonders gut können, sind Träger einer Ästhetik. Eingeweiht wurde die Philharmonie, wie Philharmonien immer schon eingeweiht worden sind. Es gab am Anfang Beethoven, die Ouvertüre zu den „Geschöpfen des Prometheus“, und es gab am Ende Beethoven, den unvermeidlichen letzten Satz der 9. Symphonie. Dazwischen gab es Brahms und Wagner, ein paar Stücke aus der Frühzeit der Polyphonie, ein paar Schrägtöner aus dem 20. Jahrhundert und ein Auftragswerk von Wolfgang Rihm. Musiziert wird, weil musiziert worden ist. Es wurde auch geredet. Geredet wird immer. Es ist nicht der Preis. Den wollte keiner in der Höhe, wie er sich jetzt ergeben hat. Dass er über Luxus-Hotel und Luxus-Wohnungen refinanziert wird, ist so unwahrscheinlich wie als Argument auf der Höhe des momentanen Kapitalismus. Das ist auch schon das einzige aktuelle an der kulturellen Geste der Elbphilharmonie. Ansonsten ist die Anmutung Musikverein zum Neujahrskonzert: Stücke, die zu erwarten waren, und eine weltweit einmalige Akustik. Auch Philharmonie ist weniger Musik als Image und Attitüde. Statt Geilheit gibt es Bräsigkeit statt Frechheit Frack. In leichter Abwandlung gilt Carl Andres Satz: Music is what we do, philharmonics is what is done to us.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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