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Rudi Schmutz 1933 – 2017

Da ist keine Stelle, die Dich nicht sieht. Bei Rudolf Schmutz galt das für seine ganze Wohnung. Es gab keinen Ort in seinem Währinger Dachgeschoß, von dem aus einen nicht Kunst anschaute. An den Wänden, in den Regalen, auf dem Fußboden, zwischen den Küchenutensilien, selbst auf der Toilette. Man saß in Möbeln der Wiener Werkstätte und trank aus Josef Hoffmann-Gläsern. Es konnte nie genug sein. Doch man fühlte sich nicht wie in einem Museum oder in der chaotischen Schatzgrotte eines eremitenhaften Sonderlings. Die Kunst gehörte einfach zu seinem Leben und war ein Teil seines Lebens und seiner Persönlichkeit.

Alles teilte er gerne. Und zu teilen hatte er viel. Noch während seines Berufslebens als Generaldirektor von Unilever in Österreich begann er zunächst, Zsolnay-Keramik zu sammeln, als diese noch als schlimmster Auswuchs eines verkitschten Jugendstils galt. Den Erlös aus dem Verkauf eines Teils seiner Sammlung steckte er gleich in seine nächste Leidenschaft: Gemälde des schrulligen Lebensreformers Karl-Wilhelm Diefenbach. Auch hier beherrschte er den Markt anfangs alleine – zeitweise war er der Markt. Später verlieh er Bilder gerne für Ausstellungen, aber weggeben wollte und konnte er sie nicht, auch nicht für viel Geld.

Das galt auch für die Arbeiten Oswald Oberhubers, mit dem ihn eine jahrzehntelange enge Freundschaft verband. So kam er zu der größten Privatsammlung von Werken des Künstlers. Zu diesem scheinbar völlig disparaten Mix aus ungarischer Jugendstil-Keramik, dunkel dräuender Weltverbesserer-Kunst und dem über die Jahrzehnte stilistisch sehr variablen Werk Oberhubers gesellte sich ein starkes Interesse für sowohl für Arbeiterkunst wie für den umstrittenen Wiener Maler und Radierer Karl Sterrer. Auf der Dachterrasse dienten Jugendstil-Keramikpilze als Sitzmöbel, während sozialistische Heldenbüsten über die Stadt blickten.

Zu seinen mindestens jährlichen Festen kamen Museumsdirektoren, Sammlerfreunde, Galeristen, Kunsthändler, Professoren und manchmal auch junge Künstler. Die Anwesenden schwelgten dann in Wiener Schmäh, der gerne die jeweils Abwesenden mit einschloss. Als Zugereister kam man sich vor wie auf einer Thomas Bernhard-Gedächtnisveranstaltung. Rudi saß mittendrin in dem bunten Treiben und lächelte manchmal lange in sich hinein, um dann eine Bemerkung zu machen und in ein mitreißendes schallendes Gelächter auszubrechen. Es war immer unklar, ob er den Ich-Erzähler, den Auersberger oder einfach nur den Zuschauer gab.

Ruhiger und intimer war er, wenn er allmorgendlich im Cafe Weimar an seinem Tisch die Zeitungen studierte und sich freute, wenn Freunde auf einen Plausch vorbeikamen. Aber auch hier hatte er ständig die unterschiedlichsten Dinge im Kopf. Wo sie auch blieben, wie sich oft im Nachhinein herausstellte. Es konnte passieren, dass er nach einem Jahr oder länger plötzlich auf Gedanken oder Bemerkungen zurückkam, die man damals selber gemacht, aber schon längst wieder vergessen hatte. Als einem noch der vorherige Abend auf den Schädel drückte, war er schon längst wieder hellwach. Zum Abschluss zog er sich in die Kellerbar auf seine tägliche Zigarre zurück. Denn er hatte in späten Jahren wieder angefangen zu rauchen: „Der Krebs holt mich nicht mehr ein“, stellte er fest.

Nur donnerstags traf er sich mit seinen alten Freunden im Cafe Engländer, wo man Pläne schmiedete, wie man dem von ihnen geliebten Hagenbund einen angemesseneren Platz in der Kunstgeschichte verschaffen könnte. Als aktives Mitglied in den Freundeskreisen der wichtigsten Wiener Institutionen hatte er dazu ausreichend Gelegenheit. Bis zuletzt dachte er noch an die nächste oder übernächste Ausstellung.

Der Krebs hat ihn tatsächlich nicht eingeholt. Rudolf Schmutz starb gestern im Alter von 83 Jahren an den Komplikationen einer lange geplanten Operation im AKH.

Mehr Texte von Stefan Kobel

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