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Rappel 'a l'ordre

Selbstbildnis als Warner: Sehr bürgerlich, gleichsam leitender Angestellter, gibt sich der Künstler. Das Haar sorgsam gescheitelt, die Brille energisch auf der Nase, das Hemd weiß mit gesteiftem Kragen und die Krawatte mit festem Knoten am Hals. Ein Malerkittel zeigt, dass er sich nicht schmutzig machen will bei dem Geschäft, das ihm jetzt auferlegt ist. Rappel à l'ordre, Ordnungsruf, nennt die Kulturgeschichte die Tendenz zur Glättung und gewissen Klassizität, die in der Nachkriegskunst über die Länder- und Gattungsgrenzen hinweg zu bemerken ist: Pablo Picasso malte nackte Knaben, Igor Strawinsky komponierte nach historischen Mustern, Adolf Loos dachte über Säulen nach. George Grosz zeigt sich nun seinerseits ordnungsliebend, ganz buchstäblich erteilt er seinen Rappel à l'ordre und verlängert mahnend, warnend den linken Arm zur Geste des erhobenen Zeigefingers. Gern hatte er sich als Bürgerschreck gesehen, er hatte 1920 etwa an der „Dada-Messe“ teilgenommen, die, allerdings erst später, in den Kanon der großen Provokationsspektakel aufgenommen werden wird. Vergangene Zeiten all das: Jetzt, im Jahr 1927, gibt sich Grosz höchst verbindlich. George Grosz, Selbstbildnis als Warner, 1927, Berlin, Berlinische Galerie – Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, © Bildrecht, Wien 2016 Natürlich war noch nicht absehbar, wie nötig es werden würde zu warnen. Sensible Geister allerdings hatten es im Gefühl. Eben 1927 verfasst Siegfried Kracauer einen Essay, dessen Titel berühmt werden wird: Eigentlich sollte „Das Ornament der Masse“ über Auftritte jener Mädchentruppen wie die Tiller Girls nachdenken, die im gespielt adretten Stechschritt militärische Bewegungen mit Einblicken ins Erotische versetzten und aufreizende Bühnenerfolge feierten. Doch wer die späteren Nazi-Aufmärsche, wie sie in den Reichsparteitagen ganz zu sich kommen, kennt, hat vor Augen, was Kracauer ganz unfreiwillig beschrieb. Der Umschlag von Masse in Macht, auf den Berlins große Kultur der zwanziger Jahre durchaus versessen war, hatte dann auch den Umschlag vom Ästhetischen ins Politische vollzogen. Im amerikanischen Exil wird Kracauer sich Rechenschaft ablegen über die Vorboten, die es gab, die er irgendwie erkannt, aber in ihrer Tragweite dann doch missachtet hatte. „Von Caligari zu Hitler“ heißt seine 1947 publizierte Kinogeschichte. Einer der Klassiker des Stummfilms, Robert Wienes „Das Cabinet des Dr. Caligari“ von 1920, erzählt von einem falschen Arzt, der einen jungen Mann in seiner Gewalt hat, ihn in Umnachtung hält und ihm Morde auferlegt. Dieser Caligari, so muss Kracauer erkennen, lässt in seiner Fähigkeit zum Hypnotisieren, in seinem Fanatismus und seiner Grausamkeit durchaus Züge dessen erkennen, der später ein ganzes Land und einen ganzen Kontinent in den Abgrund führt. Nachher weiß man es dann sowieso. Es werden jetzt neunzig Jahre, dass Grosz den Warner gab. 2017 sieht es wieder nicht sehr gut aus. Deshalb, dennoch, dergestalt das Beste fürs neue Jahr.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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