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Arena-Fresken

Instagram und Giotto

Was sehen wir eigentlich in den Halbnacktinszenierungen auf Instagram? Auffällig sind die Spiegeldarstellungen in Bade- und Vorzimmern und ihre Regression auf den Kastenraum. Ihre Herkunft haben sie in den Boudoirszenen und Revuebühnen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Von ersteren erben sie die Erotik von Umkleidekabinen, - den Guckloch-Voyeurismus - von zweiteren das schrille Kampflächeln beineschwingender Tänzerinnen - die Deformation der Frau zum sexualisierten Puppenbattalion. Doch während den ersten Typus kreidezeichnende Maler prägen (Degas) und den zweiten kreidezeichnende Maler bewundern (Toulouse-Lautrec), wird die Arbeitsteilung von Begehrenden und Begehrtem in den instagrammatischen Selbstdarstellungen schwammig. Kaum zu übersehen ist das Ausbleiben der Handlung. Selbst wenn sich Kamerablicke zu kurzen Clips verlängern, bleibt der Blick im Fokusfeld des sich räkelnden Körpers, der bei Bewegungen - selbst wenn sie ungelenk werden - nur um die Sichtbarkeit im Frame ringt. Die Schamgrenze spielt keine Rolle. Rundung und Schwellung gehören dazu. Offensichtlich bedingt Raumenge Distanzlosigkeit. Wer sich als Körper zeigen will, muss sich und anderen zu nahe treten. Das Bildformat hausgemachter Selfieerotik folgt dem beengten Verhältnissen der Kleinwohnung, inklusive Gegenlicht im Hintergrund. In ihrem berühmten Text “Visual Pleasure and Narrative Cinema” beschreibt Laura Mulvey die Triebgründe cineastischer Sehlust. 1975, als der Essay erscheint, geht es darum, patriarchale Strukturen des Kinos über psychoanalytische Begriffe zu ermitteln. Zwei Aspekte sind für Mulvey am Werk: der “skopophile Instinkt”, der die Lust einer (männlichen) Person beschreibt, eine andere (weibliche) als erotisches Objekt zu betrachten. Und die Eigenliebe, eine auf das eigene Ich abzielende Libido, mit der der (männliche) Kinobesucher aus der Identifikation mit den Protagonisten eine Idealisierung seiner Selbst ableitet. Entscheidend für Mulveys Argumentation ist der Hinweis auf Handlung und Spielraum. Während die Frau als erotisches Objekt stillhält, wird der männliche Protagonist in einen breiten perspektivischen Raum eingestellt und damit handlungsfähig. Sein Raum ist der Raum der Gestaltung, der Potenz, für Mulvey der Raum der Renaissance, der ihm - zum Beispiel bei Hitchcock - als Blickfeld im Hinterhof zur Verfügung steht. Doch es ist bezeichnend, dass die Dialektik zwischen passiver Zurschaustellung und aktivem Zugriff, perspektivischem Handlungsraum und fetischisiertem Close-up, die Mulvey heraus arbeitet, auf Instagram nicht mehr greift. Der erste Grund ist offensichtlich. Nicht nur Frauen posieren, auch Männer. Dass der männliche Körper zum Kapital wird, ist soziologisch gesehen jedenfalls eine Neuigkeit. Früher mussten nur Sklaven und Homosexuelle ihren Körper feilbieten, Arbeiter ihren Wert durch harte Arbeit erkaufen. Heute wird das feminine Bildsein von jungen Männern adaptiert. Sie zeigen sich muskulös, hüftschwingend und mit frivolem Gemächt. Ein Zeichen männlicher Wiedererstarkung oder doch wirtschaftliche Perspektivlosigkeit? Dazu kommt, dass an diesen Bildern weder der Stillstand der Zeit, noch ihre Fortentwicklung im Narrativ charakteristisch ist. Ausschlaggebend ist der improvisierte Moment. Die Verzerrung ist ihm kein Problem. Auch nicht ulkige Raumlinien oder lausiges Licht. Nicht einmal das Schielen auf das Display, das immer die Hand zum Mund führt. Entscheidend wird der unbekümmerte Vertrieb eines schrillen privaten Auftritts, einer Arena, die erotisch, aber keinesfalls auratisch sein will. Doch zurück zur Frage des Raums. Selbstdarstellung auf Instagram führt zurück vor die Erfindung mathematischer Perspektive, zur Idee der Verschachtelung und Unvereinbarkeit von Bildgrößen. Bedeutsam ist die stramme Figur, die trainierte, definierte Wölbung. Sie belegt Aktualität, Jugendlichkeit und Frische. Damit der Gips der Farbe nicht vertrocknet, werden Fresken seit jeher schnell gemalt. Jedes Wandbild ist Stückwerk in Kurzarbeit. Auch Giotto malte seine berühmten Figuren, etwa in den Arenafresken, auf diese Weise, penibel darauf achtend, dass sich Bildrahmen und Kastenräume aufeinander beziehen. Seine Bilder sind Erzählungen über Figuren eingestellt in kleine Gehäuse. Instagram-Bilder sind Figuren ohne Handlungsspielraum, ausgeführt im kleinen Zuhause. Und doch suchen sie den grellen Auftritt, die pralle Show, die weltweite Wirkung. Es sind zimmergroße Arena-Fresken in öffentlicher Einsamkeit.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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