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Postwar, 1945 – 1965

Gerade ist ein „Gesellschaftsroman“, wie er sich selbst nennt, erschienen. Sein Titel ist „München“, er heftet sich an die Fersen einiger Mitglieder der ortsüblichen Jeunesse Dorée, die sich vom Papa den Panamera ausborgt oder gleich selber auf den Begriff „Struktur“ gebrachte Signaturbauten errichten lässt, in Schwabing und in Grünwald. Ernst-Wilhelm Händler, Autor nicht ohne Renomee, legt es angesichts dieser Ereignislage natürlich darauf an, die Gegenwartskunst mit auf die Luxuskreuzfahrt zu nehmen. So treibt eine unglaublich hippe Künstlerin namens Fleur Blankovic ihr Wesen, ganz ungeniert Fiktion neben so realen Erscheinungen wie Thomas Demand oder Pipilotti Rist. Sie hat gerade eine rasend diskutierte Einzelausstellung. Ort dieser Show ist das rasend diskutierte, unglaublich hippe, ganz ungenierte Haus der Kunst mit seinem Leiter Okwui Enwezor, der im Roman, als wäre er Protagonist, unter seinem Vornamen auftritt. Gerade hat Enwezor zusammen mit seinen Kuratoren Katy Siegel und Ulrich Wilmes „Postwar“ eröffnet. Die Ausstellung ist, entgegen einer Reputation, bei der sich der Nimbus der Stadt, die Jetsetterei des Chefs und der Thrill von Hitlers weiland Kunsttempel zu einem erratischen Sinnbild des kulturellen Status Quo vermengen, von gediegenster Seriosität. Der Katalog hat 850 Seiten, und von eben diesem Ausmaß ist der Ehrgeiz der Schau. Enwezor, so sieht es aus, legt die Summe seiner biografischen, intellektuellen und politischen Bemühungen vor. Anders als auf der Themenschau der letztjährigen Biennale, die Enwezor zu verantworten hatte, scheint ihm auch kein Großgalerist hineingeredet zu haben. So ein globaler Player ist das Haus der Kunst dann doch nicht. Das kommt der Perspektive aufs Globale allemal zugute. Gegeben wird die Nachkriegszeit der Jahre 1945 bis 1965. Anders als das Pendant im zkm (siehe den Blog "Europa 1945 – 1968" vom 24.10.2016) versucht „Postwar“ einen Parcours durch die ganze Welt. Und der Schlussstrich wird früher gesetzt. Tatsächlich fand die Revolution, wenn schon, vor 1968 statt, und sie war weniger eine des Bewusstseins als des gesellschaftlichen Seins, dem biologisch die Anti-Baby-Pille, psychologisch das Ende des Kolonialismus, politisch die Emanzipationsbewegungen der Frauen, der Schwarzen, der Homosexuellen und technologisch die Massenmedien auf die Sprünge halfen. All das vollzog sich in der ersten Hälfte des Jahrzehnts. Und um nichts weniger als die Spiegelung dieser Tendenzen in der bildnerischen Produktion ist es der Ausstellung zu tun. Es geht um Widerspiegelung. Das zkm neigt demgegenüber eher der Kompensation zu. Was im Haus der Kunst geboten wird, steht politisch weiter links. Entsprechend gibt es keine Chronologie, in der sich gern einmal Sinnbedürfnisse verstecken. Im Haus der Kunst ist alles simultan da, die Angst vor der Atombombe treibt die 40er wie die 60er um. Realismus lassen sich die Regime gern gefallen, wenn er jubelnd ausfällt, und sie behindern ihn, sollte er gar kritisch sein. Die zentrale Halle des Areals wird besetzt von den diversen Abstraktionen. Es gibt keine Meistererzählung. Die Nachkriegsmoderne ist, wie alles Bedeutende – die Pyramiden, der Stummfilm, die Conceptual Art – von Anfang an da. Es ist viel zu lernen. Besonders an Namen, denn auch Nigeria hat seinen Giacometti, er heißt Ben Enwonwu, ebenso Süd-Afrika, Lucas Sithole. Die Logik der Appropriationen verwirrt sich, alles irgendwie Gebildete fügt sich in ein postmodernes Gemenge an Hybriden. Die Kunst der Moderne ist eine Zeitgenossin des Kolonialismus der Moderne. Anders immerhin als im Politischen ist das Verhältnis von Geben und Nehmen im Ästhetischen ein wenig austariert. Irgendwo zwischen Imperialismus und Emanzipation hält das Künstlerische die Stellung. Dass dabei die Länder, die im Jahr 1952 von Alfred Sauvy auf den Begriff „Dritte Welt“ (tiers monde) gebracht wurden, jedenfalls heute mehr profitieren, ist dann fast so etwas wie gerecht. Postwar: Kunst zwischen Pazifik und Atlantik, 1945-1965 Haus der Kunst, München Bis 26. März 2017

Mehr Texte von Rainer Metzger

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