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Reden vor der Qual

Es gab immer wieder umstrittene Auftritte von Außenministern. Colin Powells Rede vor der UN-Vollversammlung im Februar 2003 wurde zu einer der folgenschwersten neuerer Zeit. Heute, dreizehn Jahre später, ist es historisch verbrieft. Powells Rede enthielt irreführende Informationen zur militärischen Rüstung des damaligen Irak. Sie führte zu Angriff und Krieg. An normalen Tagen muss der US-Secretary und andere Diplomat/innen an einer Kopie von Picassos ”Guernica” vorbei, um die Vollversammlung zu betreten. In der Vorhalle des UN-Gebäudes hängt eine maßstabsgetreue Nachbildung aus gewebtem Stoff, die noch Rockefeller mit Erlaubnis von Picasso anfertigen und als übernationales Friedensemblem anbringen ließ. Doch an diesem Morgen war das Antikriegsbild verhängt. Ein monochromer Vorhang war wenige Tage zuvor angebracht worden, damit sich UN-Waffen-Inspektor Hans Blix den Fernsehanstalten stellen konnte, ohne - wie es hieß - ein schreiendes Pferd im Hintergrund zumuten zu müssen. Bekanntlich hatte Blix keine Anzeichen für Massenvernichtungswaffen gefunden. Powell - auf diesem Foto oben bei anderer Gelegenheit vor der Picasso-Replik - erwiderte energisch. Um Zweifel auszuräumen, nützte er die kurzfristige Bildverdrängung. Ikonoklasmus ist ein bewährtes Mittel zur politischen Selbstermächtigung. Doch die gemalte Anklage gegen den Frevel des Nazi-Deutschen Luftangriffs auf die kleine spanische Stadt war damit keineswegs getilgt. Im Gegenteil, die “babyblaue” Verhüllung in UN-Farbe provozierte berechtigte Fragen nach der Rechtmäßigkeit eines Erstschlages gegen Saddam Hussein. Das Darunter schimmerte durch bis in die Imagination und vermehrte die Skeptiker. Bekanntlich malte Picasso pure Verzweiflung ausgebreitet auf eine Länge von 18 Metern, im Original in mattem Grau, in Manhattan zur besseren Kenntnis in rostigem Sepia. Dass Bilder andererseits nicht helfen, wenn Reden prekär werden, belegt ein Fensehinterview, welches der russische Außenminister Sergei Lawrow kürzlich gab. Der Grundton der Aufnahme ist ebenfalls in Sepia, als wäre der Farbton Gewähr für Deeskalation und Aufrichtigkeit. Lawrows Rede vom 30.September 2016 war eine Entgegnung. Er hielt sie zur Entkräftung westlicher Vorwürfe, wonach Luftangriffe russischer Kampfjets Zivilisten in der syrischen Stadt Aleppo gefährden. Sogar ein Krankenhaus wäre bombardiert worden. Lawrow ist in dem Interview als Brustbild wiedergegeben. Hemd und Krawatte bilden einen stützenden Vertikalbalken im queroblongen Kinoformat. Das Streiflicht ist wie in einer Geschichtsdoku weich und vertraulich. Schatten von Zweifel und Ungemach gibt es dennoch in dieser Szenografie. Denn, dass sich Lawrow für diese Rede eine Bürosituation sucht, in der im Hintergrund eine Kammerversion der “Laokoon”- Gruppe steht, führt unausweichlich zu Hintergedanken wie einst bei Powell. Die Figurengruppe en miniature schimmert hinten links in bronzierter Politur. Die mythische Geschichte ist selbst eine Parabel auf Krieg und Demaskierung. Laokoon, der trojanische Priester, hatte den Betrug der Griechen entlarvt. Göttin Athene, parteiisch und auf der westlichen Seite, deckt die List und schickt Laokoon zusammen mit seinen Söhnen ins Martyrium. Ist Lawrows Rede nun Aufdeckungswerk oder ein weiterer historischer Vertuschungsversuch? Geht es um Wahrheit oder geschickte List? Und sind die Kunstwerke, die dafür den Dekor abgeben, die Hinweislieferanten für Rätsel- und Wahrheitssuchende oder einfach nur Zimmerschmuck wie geistlose Topfpflanzen? Man neigt, das erstere anzunehmen. Der erstickte Schrei zum Beispiel, den Winckelmann im Laokoon fand und ob seiner Würde begeisterte, begründete eine Theoriedebatte über die Zumutung bildlicher Schmerzdarstellung, die bis Picasso und das kürzlich von Facebook eliminierte Foto aus dem Vietnamkrieg reicht. Und dann ist da noch der ungewöhnliche Schatten. Im Hintergrund des Fernsehbildes ist ein anmutiges Frauengesicht zu sehen, mit Hals, Brust, Kinn und schlanker Nase. Eine List, die das Tragische ins Elegante wendet, ein Bild, das wie die Rede beschönigt, oder einfach nur Zufall und der Umriss einer belanglosen Zimmerpflanze?

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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