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Wolken, Räusche und Maschinen: Entgrenzte Formate

Das Institutionensystem der Kunst setzt auf Grenzziehungen. Zugespitzt könnte behauptet werden, dass die Grenzziehung Sinn und Zweck des Institutionellen ist: In der Abgrenzung manifestiert sich ein großer Teil der Arbeit, die innerhalb der Apparate geleistet werden muss: Kunst wird von Nichtkunst geschieden, Kitsch und Kommerzielles wird aussortiert, Kanons werden etabliert, Überbewertetes wird ab- und „hinaus“-geschrieben, Vergessenes wird wieder „hinein“-geholt und bislang Unverdächtiges problematisiert. Allen diesen Anstrengungen ist gemein, dass sie beständig Grenzen ziehen – ja ziehen müssen –, die sich dann als Programmentscheidungen, Ankaufsempfehlungen, Ausstellungseinladungen, Forschungsentscheidungen und Ehrungen zeigen, oder deren Verlauf sich – ex negativo – aus dem Übersehenwerden und der Nichtberücksichtigung ablesen lässt. Der sichtbarste Ausdruck sind dabei immer noch räumliche Abgrenzungen, wobei diese nicht nur das Innen vom Außen trennen, sondern auch im Inneren dafür sorgen, dass wir z.B. die Einrichtung und Angebote der Cafés und der Shops, die Bibliotheken oder die Vermittlungsräume als von der Kunst verschieden erkennen. Ganze Kunstgattungen konnten sich mit Hilfe dieser Abgrenzung etablieren, wie etwa die „Ernennung“ von Ready Mades zur Kunst, unter anderem durch deren Transferierung in die entsprechenden Ausstellungsräume. Im dialektischen Einklang mit diesen Grenzziehungen steht die Kritik an Kunstinstitutionen und die damit verbundenen Fluchtimpulse. Neben der Bewegung in den Außenraum kann die Hinwendung zu Interdisziplinarität und Kollaboration als Versuch gesehen werden, die eng umzäunten Territorien zu erweitern. Die Hinwendung zu den jeweils neuesten Medien spielte in diesen Versuchen ebenso eine Rolle, da sich die medien- und apparategestützte Kunst schnell daran machte, die mangelnde Aufmerksamkeit durch das analoge Kunstsystem durch eigene Formate und neue Vermittlungsformen zu kompensieren. Wenn wir dann noch die (kultur)politischen Forderungen der 1970er Jahre in die Reihe dieser Bemühungen aufnehmen verwundert es nicht, zu bemerken, dass Hilmar Hofmanns Schrift „Kultur für Alle“ im Jahr 1979 – und damit zeitgleich mit der Gründung der Linzer ars electronica – erschien. Wir waren also in Linz und es ergab sich, dass das Programm mit „ars electronica“ dem „Höhenrausch“ und der „Klangwolke“ eine derartige Fülle an entgrenzten, „populären“ und interdisziplinären Veranstaltungen bereithielt, dass ihr abgrenzungskritischer Kolumnist in einen veritablen Strudel von Angeboten geriet, in dem ohnehin scheinbar bereits alle Grenzen aufgehoben, überwunden oder vernichtet schienen. Es muss dazu gesagt werden, dass der Besuch in Begleitung von zwei Kindern stattfand, ein Umstand, der zu einer Erhöhung der ohnehin schon hohen Mitmach-, Anregungs- und Erlebnisdosis dieses Tages führte. Was wir sahen, war die Kulmination aller oben skizzierten Fluchtbewegungen entlang eines Parcours, in dem dann etwa ein Biomarkt ebenso in ein Medienfestival passt, wie die Drohnenflugworkshops für die Kleinen, die Leselernsoftware der Stadtbibliothek, die seifenblasenspeiende Klangskulptur und der roboterbewegte Künstler – alles umrahmt von einer Konferenz oberösterreichischer FlüchtlingshelferInnen und Spezialsymposien, deren Bandbreite von Gen- und Nanotechnologie bis zu zukünftigen Arbeitswelten reicht. Selbstverständlicher räumlicher Ausdruck dieser Verschränkungen ist eine Art „Open Plan“ Layout für zentrale Festivalbereiche, in dem dann das Restaurant nicht mehr vom Rest abgetrennt werden muss, da diese Abgrenzungen hier ohenhin niemanden mehr zu interessieren scheinen. Eine nicht nur räumliche Entgrenzung stellt der „Höhenrausch“ dar, ein Sonderformat des Offenen Kulturhauses, das bereits zum sechsten Mal stattfindet und alle Ambivalenzen beinhaltet, die die Popularisierungs- und Vermittlungsbestrebungen der letzten Jahrzehnte mit sich brachten. Mit einigem Respekt anerkennt der Verfasser die Radikalität, mit der hier eine Kunstinstitution im wahrsten Sine des Wortes „über sich hinaus“ geht: Ausgehend vom „eigenen“ Dach und einer benachbarten Parkgarage hat sich der „Höhenrausch“ mittlerweile auf Nebengebäude, das benachbarte Einkaufszentrum und die daneben liegenden Ursulinenkirche ausgeweitet. Als wäre dies nicht genug, wurde in den letzten Jahren dann noch ein Stahlpavillon, ein Sommerkino und ein Aussichtsturm auf das Dach gehievt, sodass allein das Raumprogramm bereits wie eine exaltierte Outdoorversion des „Fun Palace“ von Cedric Price aus den frühen 1960er Jahren wirkt. Wenn dann innerhalb dieses Progamms noch benutzbare Klangskulpturen, Erfrischungskioske, Kinderrutschen, Liegestühle und Kunstprojekte zwanglos gemischt werden, finden wir uns an einem schönen Sommertag endgültig in einer entgrenzten „Zone“, in der niemand mehr einen Anlass sieht, zwischen „Flying Fox“, Bioeis, Michel Kienzer, Eva Schlegel oder Bällebad in „Raiffeisen Garage“, „voest alpine open space“ oder „Keine Sorgen Turm“ der oberösterreichischen Versicherung zu unterscheiden . Alles wird irgendwie angenommen und folgerichtig stürzten sich die Kinder beim Ausgang auf die Opferkerzen in der Kirche, als ein weiteres der vielen Mitmachangebote dieses Tages – in diesem Fall zum Preis von jeweils 80 Cent. Im weiteren Verlauf kämpften wir uns durch die Angebote einer Marketingveranstaltung, die den Außenraum der Linzer Landstraße mit jener Massivität beanspruchte, mit der vor einigen Monaten die BettlerInnen von dort vertrieben wurden. Da ich die feine (in anderer Weise kunstskeptische) Ausstellung von Ingeborg Strobl im Lentos, die heute ein Gegengift hätte sein können, bereits vor dem Sommer besucht hatte, landeten wir direkt im Donaupark. Hier begann 1977, mit dem aus heutiger Sicht klassischen „Forum Metall“ ein Teil dieser Geschichte, als deren ambivalente Apotheose uns dieser lange Samstag letztendlich erschien: Da lagen wir dann in der Wiese, gut aufgelegt mit den von der Sparkasse geschenkten Chips, und waren dabei, als Tausende den hundert Drohnen applaudierten, die das Wort „Intel“ in den Abendhimmel geschrieben hatten...

Mehr Texte von Martin Fritz

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