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Love Locks

Von der Last der Liebe


Pierre-Auguste Renoir, Le Pont des Arts Paris, 1867, Öl auf Leinwand, Norton Simon Museum

Signac zeichnete von diesem Platz aus, von Whistler gibt es eine Skizze aus ähnlichem Blickwinkel und von Pierre-Auguste Renoir sogar ein prachtvolles Gemälde. Es ist im faszinierenden Pariser Licht gehalten, kristallin und faltenfrei. Die Stadt strahlt. Menschen tummeln sich an den Ausflugsbooten. Manche warten auf die Ankommenden, andere spazieren an der Seine entlang, dort, wo eine gepflasterte Rampe zum ehrwürdigen Institut de France hinauf führt. Die Gesellschaft, die sich hier trifft, ist gediegen. Damen tragen lange Röcke und modische Hüte, Herren Zylinder und Gehrock. Kinder spielen dazwischen. Damit niemand auf falsche Ideen kommen könnte: Es ist ein bürgerlicher, kein zwielichtiger Treffpunkt. Schatten am unteren Bildrand führen in die Mitte des Geschehens. Sie scheinen zufällig, wie immer im Impressionismus der Tageszeit und dem Standort geschuldet. De facto sind es vom Maler gekonnt eingesetzte Richtungsweiser. Sie zielen auf Menschen wie Zeigefinger, eine optische Batterie, die sich ins Bild hineinarbeitet wie Amors Pfeile in die Herzen. Renoir spielt souverän mit der Differenz von Blick und Geschehen. Er, der Maler, ist verborgener Voyeur, der sich unter der nächsten Brücke verbirgt und das Treiben des Sonntags für die Betrachter/innen zur Beurteilung freigibt. Nicht ohne genussvolle Zustimmung, wie man unschwer bemerkt.


Eduard Gärtner, Unter dem Pont des Arts mit Blick auf den Pont-Neuf, 1826, Aquarell, Berlin

Sein Malerkollege Eduard Gärtner (1801-1877) verzichtet auf satte Farben. Auch er sitzt unter der Brücke, allerdings unter jener, die Renoir von der Ferne malt. Gärtner befindet sich unter dem berühmten Pont des Arts, also jener Brücke, die diesen Namen erhält, weil sie den Louvre mit der gegenüberliegenden Seite verbindet. Die Dielenbretter des Brückenbodens sind von unten zu sehen. Sie werden von gusseisernen Streben und großen Bolzen gehalten. Der flache Rundbogen gibt den Blick auf Lastenkähne und ein paar einzelne Arbeiter frei, die mit einem Käfigkarren vorgefahren sind. Die Streben des Brückenbogens sind wie ein Schnürboden über den Alltag gespannt. Das Aquarell ist hell und lichtdurchflutet. Es ist weniger lebensbejahend, mehr technische Zeichnung, die alltägliche Betriebsamkeit zeigt. Frauen gibt es keine unter der Brücke, Paare ebenso wenig. Gärtner ist für seine Architekturansichten bekannt, für seine Genauigkeit, die er sich als Porzellanmaler aneignete. Außerdem ist er Preuße, weder bürgerlicher Lebemann noch kulinarischer Blickgünstling. Er zeichnet einen Ort des Handels, der Industrie und der modernen Infrastruktur. Die Fußgänger, denen die Brücke schon damals vorbehalten war, sind bei ihm nicht zu sehen. Bis zur Februarrevolution im Jahr 1848 musste sogar noch Brückensoll bezahlt werden, woraus ersichtlich wird, dass gesellschaftliche Distinktion mit ihrer Benützung verbunden war. Was früher Aristokratie war, ist nun die Bourgeoisie. Später kommt es zur Öffnung für alle, desgleichen zu Verbreiterungen der Brückenbogen und Verstärkung der Pfeiler. Der Grund sind nicht der gestiegene Flanier-Verkehr, sondern vor allem die Kollisionen mit Schiffen. Von oben hielt die Brücke stets stand, abgesehen von einer Fliegerbombe im Ersten Weltkrieg. Das sollte sich ändern. Der Standort direkt unter der Brücke, den Eduard Gärtner gewählt hatte, wurde in den letzten Jahren zur erheblichen Gefahr. Und zwar durch die Belastung der Brücke. Drückend wurde die Last der Liebe. Voyeure sollten Seurats Winkel bevorzugen, vor allem wegen dem sozialen und amourösen Leben, das darauf zu blühen begann. Liebespaare hatten in jüngster Zeit Schlösser auf die Absperrung angebracht. Zwischen 700.000 und einer Million sollen es gewesen sein. Das entspricht einem Gewicht von 45 Tonnen. Das war für das Geländer zuviel. Am 8. Juni 2014 brach ein Abschnitt des Brückengeländers ein. Die Schlösser wurden entfernt und die Brücke so gestaltet, dass ein Anbringen nicht mehr möglich ist. Noch schlimmer als die Eigenart verliebter Menschen, sich im digitalen Zeitalter mit stählernen Keuschheitsschlössern ewige Treue materiell zu beweisen, ist die Ersatzausstattung, die folgte. Die Stadt Paris hat Künstler geladen, um Innen- und Außenseiten zu gestalten. Ein Kommentar zu diesen Machwerken im Stile eines verulkten Keith Haring erübrigt sich. Vielleicht bricht der Pont des Arts nun zusammen, weil er seinen Namen nicht mehr ertragen kann.


Jace: Pont des Arts, 2016

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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