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Melanie Pröschle

Die seltsame Nationalunion der Deutschen und der Österreicher im Kulturellen wirkt sich speziell beim Film aus. So unverdrossen piefkinesisch die einen daherreden, so schönbrunnert es bisweilen, dass es genauso wenig passt. Toni Erdmann gäbe dafür ein aktuelles Beispiel, der Held des neuen, des dritten Fims von Maren Ade, in Cannes und im Feuilleton hochgelobt und gerade in die Kinos gekommen. Peter Simonischek spielt diesen Toni, der daheim ist in Aachen. Doch statt einem schönen Öcher Platt gibt es deutlich Dialekte zu hören, die von ganz weit im Südosten stammen. Der Film hat damit kein spezielles Problem, wie er in seiner Gnadenlosigkeit ohnedies Probleme in einem sehr allgemeinen Spektrum beheimatet: im Kopf, im Kapitalismus, im Kampf aller gegen alle. Maren Ades Erstling handelt in ihrer Heimatstadt, in Karlsruhe. „Der Wald vor lauter Bäumen“ ist der Titel dieser 2003 herausgebrachten Abschlussarbeit an der Münchner Filmhochschule. Diejenige, die da unfähig ist, das Gehölz im eigenen Herzen wahrzunehmen, hört auf den Namen Melanie Pröschle, kommt aus Plochingen, das liegt in Württemberg, und es hat sie zwecks Berufsanfang als Lehrerin ins Badische verschlagen. Wer über Schwaben in Berlin lamentiert, übersieht, dass sie schon fünfzig Kilometer von ihrer Heimat entfernt wenig gelitten sind. Homo Homini Lupus war immer schon eine Nachbarschaftserfahrung. Toni Erdmann und seine Tochter Ines Conradi üben sich im souveränen Unterschreiten von Peinlichkeitsschwellen. Weder Masken noch Nacktheit können verhindern, wie das ungleiche Paar sich im Unbehagen in der Kultur suhlt. Der unendliche Spaß, der da beim Zuschauen anfällt, kommt noch deutlicher auf, verfolgt man Melanie Pröschle. Sie ist so ungeschickt, unbehaglich, plump, so hilflos, schwerfällig, tölpelhaft, so hölzern und unhandlich, so umständlich, misslich und am Ende auch noch gefährlich, dass einem die Misanthropie im Halse stecken bleibt. Denn natürlich, und das jederzeit im Raum stehen zu haben ist die große Kunst Maren Ades, natürlich will sie ja nur gemocht, geachtet, geliebt werden (die obigen Begriffe zur Beschreibung von Melanies Charakter entstammen übrigens einem Wörterbuch zur Übersetzung des englischen „awkward“). Eva Löbau als Melanie Pröschle, © timebandits films „Der Wald vor lauter Bäumen“ bleibt ein wenig unbestimmt zum Schluss, hier bekennt sich der Film als Erstling, denn der absehbare finale Moment im Suizid wird durch eine Autofahrt ohne Fahrer ersetzt, die sich im Visionären verliert. Ansonsten ist alles da, schier elaborierter als später. Der Cultural Gap klafft vor der Haustür, und hier, vor Ort, scheint er unüberwindlicher als in Toni Erdmanns Rumänien. Die Einheit der Idiome bleibt dabei peinlich gewahrt. Man unterscheidet gar zwischen schwäbisch und badisch in der Aussprache. Etwas anderes hat man ohnedies nicht zu bereden. Die wunderbare Studie eines Milieus, dem die Mitte fehlt. Eva Löbau, die Melanie Pröschle des Films, ist übrigens Österreicherin.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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