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Juni 2016: In der Scheiße

Zu den Vergnügungen der Kinder zählt das Waten im Schlamm, wie zuletzt am Rande eines beinahe Hochwasser führenden Flusses. Wo sich Erwachsene auf trockene Wiesen zurückziehen oder insgeheim kalkulieren, ob nicht doch Ferien an einem Pool leistbar wären, sind die Kinder schnell bei der Sache: Sich im Schlamm zu Suhlen ist ebenso Ehrensache wie das Bewerfen und/oder Eincremen anderer Kinder mit der schönen braungrauen Masse, begleitet von Jubel, Aufregung und Lust. Wenn dann noch Kübel, Schaufeln, Bauten, Dämme und Kanäle ins Spiel kommen fällt es schwer, den Anblick nicht zur Urszene für das Schaffen an sich zu überhöhen. Wohl im Einklang damit hat sich jene Form des kreativen Erziehungsimperativs durchgesetzt, die diese Lust auch ermöglicht – ja sie fördert. Denn die professionelle Erfahrung lehrt zwar, dass in der Kunst auch zwanghafte Disziplinierung und ein hohes Maß an Selbstkontrolle vonnöten ist, dennoch manifestiert sich im glücklich-schlammbedeckten Kind eines der stereotypen Bilder von der „befreiten“ künstlerischen Arbeit. Auch bei der elften Manifesta in Zürich ging es um die Arbeit und auch hier spielte Schlamm eine Rolle: Nach einem Konzept des Künstlerkurators Christian Jankowski waren die Teilnehmenden dazu aufgefordert, sich aus einer Liste der in Zürich ausgeübten Berufe für ein Gegenüber in der Stadt zu entscheiden. Diese Gastgeberschaften führten zu mehr oder weniger kooperativen Projekten mit mehr oder weniger Überzeugungskraft. Unter dem suggestiven Titel „What People Do For Money – Some Joint-Ventures“ war zwar selten vom Geld die Rede – was einem in Zürich erst einmal gelingen muss –, doch eine der populärsten Arbeiten setzte die Saturiertheit der Stadt, ihre verdrängten Elemente und ihren Ordnungssinn dann doch sehr schlüssig in Szene: Mike Bouchet kooperierte mit dem Klärwerk und produzierte aus dem getrockneten Klärschlamm mit der „Tagesproduktion“ der Stadt eine Minimal Art Installation, deren eindeutiger Geruch durch einen Duftstoff neutralisiert wurde. Die Arbeit – präsentiert in umittelbarer Nachbarschaft der Supergalerien Presenhuber und Hauser & Wirth – eröffnete vielfältige Beziehungsebenen, nicht zuletzt jene der Verbindung von Exkrementen und Geld, wie sie etwa im Märchen durch den Goldesel popularisiert wurde. Während der Preview war eine Hilfskraft gerade dabei – in Schutzkleidung auf der Skulptur stehend – den Duftstoff auf die Arbeit zu sprühen, woraus ein stimmiges Bild der postindustriellen Arbeit entstand. Mehr an Austausch denn an Verdrängung war offensichtlich die Manifesta-Performance von Gelitin interessiert: Die Konzeptillustration unter dem Titel „The Guild of Giving“ legte die Vorstellung gegenseitiger Ausscheidungsgaben zumindest nahe. Einen Beleg dafür, dass wir uns eher vor den Braunen als dem Braunen ekeln sollten, brachte dann die Schweizer SVP mit einem Antrag gegen die Arbeit von Mike Bouchet, in dem der Zürcher Stadtrat aufgefordert wird, zu prüfen, „wie die Fäkal-Installation […] umgehend aus dem Programm der Manifesta gekippt und entsorgt werden kann.“ Zurück in Wien, fand sich das sonst an dieser Stelle gerne gelobte MUMOK in den letzten Wochen in der Scheiße, doch nicht, weil wieder einmal die Aktionisten im Zentrum der Austellungen stehen. Wir reden hier auch nicht von der Ausladung des rechten Präsidentschaftskandidaten von einem Fundraisingdinner. Dies war eine respektabe Entscheidung, an der nur auffiel, dass sie damit argumentiert wurde, dass man sich „nicht politisch positionieren“ wolle, während man glücklicherweise genau dies tat. Im Zusammenhang mit dem heutigen Schwerpunkt berichten wir von dem kurzen Shitstorm, dem sich das Museum ausgesetzt sah, nachdem bekannt wurde, dass im Rahmen einer eingemieten Veranstaltung einer Gruppe namens „Wiener Achse“ ein Auftritt des „Identitären“ Martin Sellner und des sogenannten „AfD Philosophen“ Marc Jongen vorgesehen gewesen wäre. Zwar wurde die Veranstaltung nach Protesten relativ schnell abgesagt bzw. an einen anderen Ort verlegt, doch das Museum zog zu Recht Unmut auf sich, als es in der ersten Begründung der Verlegung keine Distanzierung von den Rechten vornahm, sondern stattdessen gemeinsam mit dem Veranstalter die nicht mehr zu gewährleistende Sicherheit von TeilnehmerInnen und Kunstwerken hervorhob. Lange 23 Stunden später versuchte das Museum seine Stellungnahme mit einem ungelenken, etwas längeren Text zu präzisieren. (1) Wieder Schlamm- und Scheißebezug und noch einmal Gelitin gab es dann am letzten Freitag: Bei der Wiener Premiere des Films „Whatever happened to Gelitin“ von Angela Christlieb mit Salvatore Viviano als „Host“ schloss sich auch wieder der Kreis zu den eingangs erwähnten Kindern. Doch der als Retrospektive funktionierende Film wurde von seinem Publikum nicht nur dort bejubelt, wo die vier Protagonisten im Schlamm waten oder treffsicher in Gläser oder die eigenen Münder pinkeln, sondern der Film bezog seine Qualität auch aus der Deutlichkeit, mit der er an vielen Beispielen zeigen konnte, dass die prononcierte „Kindlichkeit“ der Arbeiten auch vor Untiefen nicht zurückschreckt und damit immer auch ein Element der Herausforderung für die gastgebenden Institutionen bereithält. Auffälligerweise verließen gerade an jener Stelle einige BesucherInnen den Saal, an denen sich die Künstler vor Beispielen an die Herstellung des „Kakabets“ zu erinnern versuchten, ein Schrifttyp, den sie 2006 für ihre Ausstellung im makellosen Kunsthaus Bregenz entwickelt hatten. Zu einem leisen Höhepunkt des Films geriet dazu passend die trockene Rückschau des Kunsthauskurators Rudolf Sagmeister, der von der Belebung aber auch der Herausforderung des Publikums durch die Ausstellung berichtete, um dann unvermittelt davon zu erzählen, wie ihm der Einblick in die Dehnbarkeit des Anus etwas Scheu vor einer bevorstehenden Darmspiegelung genommen hatte. Also dann: Bleiben Sie gesund und verbringen Sie einen schönen Sommer! -- (1) Die Mumok-Stellungnahmen auf Facebook im Wortlaut: Sonntag, 12. Juni, 18:24 Uhr Montag, 13. Juni, 17:11 Uhr
Mehr Texte von Martin Fritz

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