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TATE ETAT

Mark Wallinger, der britischste unter den britischen Künstlern, repräsentierte 2001 sein Land auf der Biennale von Venedig. Zentral postiert war da im Pavillon eine schweigsam stehende, lebensgroße Figur aus Gussstein, nackt, aber mit Lendenschurz, den Kopf mit einer Art Messingdraht umwickelt. „Ecce Homo“ war sie benannt. Nebenan eine Videoarbeit, auch sie trug eine Reverenz an die Bibel vor: Eine Kamera beoachtete auf dem London City Airport die Neuankömmlinge, wie sie die Zollschranke passieren und damit gleichsam heiligen Boden erreichen. „Threshold to the Kingdom“ hieß es also zweideutig: Die Schwelle zum Königreich führte vom Monarchischen gleich hinüber zum Himmlischen. Makr Wallinger, Ecce Homo, 4th Plinthe, London, 1999, Foto: Paul Walker So gelobt war das Land, Wallinger zeigt es in seinen typischen Tugenden von Witz, Ironie und tieferer Bedeutung, schon vor 15 Jahren nicht. Dass es jetzt in einem Sumpf von Fremdenfeindlichkeit versinkt, ist nichts anderes als schockierend. Am schlimmsten ist es in Kent, der reichsten Gegend, in der die Londoner Geldaristokratie Hof hält. Die Ausländerquote ist am geringsten hier, die Brexit-Anhängerschaft dafür am größten. Einer der sympathischsten Anteile an der guten psycho-sozialen Atmosphäre, die es in Großbritannien immer noch gibt, besteht aus dem fein austarierten Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit. „Private Property“ gibt ein Schild an manchen Arealen zu verstehen, und man geht woanders hin. In Kent, und nur hier, ist es umgekehrt: Da heißt es, wenn ausnahmsweise das Betreten nicht verboten ist, „Public Pathway“. Da macht auch die Alliteration nichts besser. Brexit und ortsansässige Mentalität passen bestens zusammen. Seit Jahren kämpft Wallinger um ein spezielles Projekt in Kent: Er will am internationalen Bahnhof von Ebbsfleet, südwestlich von London, aber noch dem Urban Sprawl zugehörig, eine Geste des Willkommens setzen; sie ist nicht ganz unaufwendig, denn sie besteht aus der 50 Meter hohen Figur eines Pferdes. Bis das Migrationsdenkmal realisiert wird, werden noch viele, an die es sich adressiert, am Eisenbahntunnel verzweifeln. Jason Rhoades, der Amerikaner, bekannt für seine exuberanten Installationen, widmete sich 2004 einer speziellen Wortgleichheit. Immanuel Kant, geboren 1724, hört sich für ein amerikanisches Ohr nach „Cunt“ an, und das heißt ja nun Möse. Exakt 1724mal hat Rhoades den Slangausdruck seinerzeit in Neon gefasst, als schräge Hommage an den Hagestolz, wie man Junggesellen wie Kant einst nannte. Wäre Rhoades Brite gewesen, hätte er das Wortspiel womöglich mit „Cant“ inszeniert, denn das meint eine speziell dem Zurückhaltendtun geschuldete Eigenschaft. Man nennt sie Heuchelei, und vor allem seit der Zeit des Imperialismus sind die Briten darin Vorreiter. Man stellt sich hemmungslos auf den eigenen Vorteil ein, zelebriert das Ganze aber als Altruismus. So geht das gern bis heute. Snobs sind dann übrigens diejenigen, die die Dinge beim Wort nennen. Boris Johnson ist ein Snob, denn er gibt ohne Scheu bekannt, warum er auf der Leier des Brexit spielt. Als ich Mark Wallinger einmal in seinem Atelier besuchte, fand ich an die Wand einen einfachen Zettel gepinnt. Er enthielt ein Wortspiel, es war ein Palindrom, bezog sich auf gewisse nationale Gegebenheiten, war aber International Style genug, dass es auch als Geste an Duchamp durchging. Auf dem Zettel stand: TATE ETAT. Der Staat und der Zustand waren auf ein Four-Letter-Word gebracht, das eine der Schwellen schlechthin markiert für den Zugang zum vereinigten Königreich der Kunstkarrieren. Gerade hat die Tate Modern ihren Erweiterungsbau eröffnet. Wie Maik Novotny in seinem schönen Bericht darüber im „Standard“ schreibt, hatten Herzog und deMeuron dafür ursprünglich eine gläserne Kiste geplant. Sie nahmen Abstand davon, weil ihnen die Pseudo-Transparenz allzu beflissen in die Ästhetik von Londons notorischen Developern zu passen schien, die die Stadt mit Luxusappartements überziehen. Der Anbau sollte nun also schroff daherkommen, als Hochbunker in Sichtmauerwerk, so als ließe sich durch derlei symbolische Abschottung etwas ungeschehen machen. Cant gibt es nicht nur beim Brexit.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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