Werbung
,

Wir suchen das Weite

Am 9. Oktober 1872 erreichte Phileas Fogg, der sich nach dem Willen seines Erfinders Jules Verne in achtzig Tagen um die Welt aufmachte, das ägyptische Suez. Seine Ankunft erfolgte so, dass sie „mit der vorgeschriebenen Ankunftszeit verglichen weder einen Gewinn noch Verlust nachwies. Darauf ließ er sich in seiner Cabine ein Frühstück auftragen. Die Stadt zu besehen, fiel ihm nicht ein, denn er gehörte zu der Sorte von Engländern, welche die Länder, durch welche sie reisen, von ihren Bedienten besehen lassen.“ Wer eine Emigration ins Auge fasst oder zumindest einen Pfingstausflug plant und dabei wie Mister Fogg auf ein wenig Passivität wenn nicht gar Interpassivität keinesfalls verzichten will, dem sei „Wir suchen das Weite“ empfohlen. Im Berliner Kupferstichkabinett delegieren sie unter diesem Titel das Reisen an Künstler. Quer durch die letzten gut fünf Jahrhunderte ist so allerlei an Bildern, Illustrationen, Spurensicherungen zusammen gekommen. Man weiß seit Günter Brus und Oswald Wiener, dass die Stadt im märkischen Sand ein gutes Pflaster ist, wenn man sich zuhause nicht mehr so wohl fühlt und davon wirkmächtig Bericht gibt. „Der Schweiß fällt auf die Aquarelle, Ameisen fressen die eben aufgetragenen Farben dicht vor dem Papier weg, vor Hitze rollt das Papierblatt zusammen und ich muß an die heimathliche Kritik denken“: Mit diesem Tagebucheintrag ist die Problematik auf den Punkt gebracht, sie stammt von Eduard Hildebrandt, der sich 1862 auf den Weg machte, um seinerseits die Welt zu umrunden. Er brauchte gut zwei Jahre dafür, die Ausbeute bestand aus exakt 281 Blätter mit Gouachen, von denen einige zu sehen sind und genau jene wunderbare Entdeckung im Doppelsinn gestatten, auf die man es unterwegs abgesehen hat. Der Exotismus, Dokumentarismus und gelinde Imperialismus seitens der Aufnahmen zum einen, das stolzierend-prätentiöse Gebaren, das sich mit einem ehrlichen Staunen paart, seitens des Aufnehmenden zum anderen. Dass Künstler auch keine besseren Menschen sind, wäre eine Erkenntnis nebenbei. John Wesley: Black Car, 1989. Gouache. © John Wesley / © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders Immerhin konnten sie mit jedem Tourismus einen Purismus auf den Weg bringen: Emil Nolde mit seinen schrägen Porträts dessen, was man einst Eingeborene nannte; Ed Ruscha, für den es reichte, kurz mal zur Tankstelle zu gehen; Wolfgang Mattheuer, der 1981 per Linolschnitt einen Blick aus dem Dachfenster tat und ein perfektes Bild dafür schuf, wie es sich lebte in der DDR, während die anderen feiern; Albrecht Dürer, der wie nebenbei das Prinzip Aquarell erfand, während er durch Südtirol fuhr, Blätter füllte, deren Reichweite nach Süden nur bis Klausen geht und dem man dennoch für die Jahre 1495/96 eine „Italienische Reise“ ansinnt, weil der Traum von der ominösen Himmelsrichtung schließlich irgendwann beginnen muss. Und so weiter. Eine wirklich schöne Ausstellung. Das Weite Suchen war noch nie so attraktiv. www.smb.museum/kk
Mehr Texte von Rainer Metzger

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: