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Dubuffet

Als eine der ganz wenige Figuren der Avantgarde, vergleichbar allenfalls Wassily Kandinsky, ist Jean Dubuffet ein Spätstarter. Er zählte über vierzig Jahre, als seine Karriere begann. Das hinderte ihn nicht, ein Oeuvre von umfassender Quantität hinzulegen. Allein 750 Arbeiten hat er über die Baseler Galerie von Ernst Beyeler verkauft. Was Wunder, dass dessen Fondation in Riehen dem Altmeister der letzten Phase eines ungehemmten Aufbruchs jetzt eine Retrospektive angedeihen lässt. Der, was Epoche wie Lebenszeit anbelangt, späte Beginn Dubuffets sollte Elan, Ungestüm, Emphase, all den Zauberworten der orthodoxen Moderne, keinen Abbruch tun. Wenn es ein Charakteristikum dieser Moderne ist, das Unverdorbene, Reine, Pure zu suchen, dann besetzt Dubuffets Strategie die Steigerungsform. Zum „pure“ kommt das „brut“, das Nackte, Offene, im Wortsinn Brutale, wie es speziell die unmittelbare Nachkriegszeit freigelegt hat. „Béton Brut“ war das Vokabular von Le Corbusier, dem Klassiker der architektonischen Moderne. Und „Art Brut“ war der Fokus von Dubuffet, die Bildnerei jener Sphären, die vom Wahren, Guten, Schönen des künstlerischen Kanons ausgeschlossen blieben, der Kinder, der psychisch Kranken, der geistig Behinderten. Dass dieser Kanon längst differenziert wird, gehört zur Emanzipationsgeschichte der nicht mehr totalitären Jahrzehnte. Jean Dubuffet, Coucou Bazar, 1972-1973, Installationsansicht, Collection Fondation Dubuffet, Paris © Bildrecht, Wien 2016, Foto: Les Arts Décoratifs, Paris/Luc Boegly 1948 hatte Dubuffet die „Compagnie de L’Art Brut“ gegründet, in Nachfolge des Surrealismus, und dem Unbewussten galt jetzt umso forcierter das Augenmerk. Zunächst verschrieb diese Kompanie sich dem Sammeln, suchte in Nachfolge von Hans Prinzhorns Schrift „Bildnerei der Geisteskranken“ einem Schaffen nachzuspüren, das dem Triebhaften, Unverblümten und vor allem Unverbildeten gleichsam instinktiv Gefolgschaft leistet. Der Automatismus, wie die Surrealisten ihn propagierten, hatte von vornherein etwas Gewolltes, Kontrolliertes, er war Produkt der Reflexion. „Art Brut“ dagegen sollte buchstäblich aus dem Bauch kommen - oder zumindest aus Bereichen der Psyche, denen rationales Schalten längst entglitten war. Das Nackte, Offene, im Wortsinn Brutale: Natürlich wird Dubuffet seinerseits das Kalkulierte nicht los. Natürlich sind diese Körper- und Landschaften in der Schlichtheit von Posen und Konturen, sind diese Oberflächen in ihrer Schrundigkeit und Versehrtheit, sind diese Kontraste von knalligen Primärfarben und erdigen Koloriten allzu deutlich aufs Fundamentale erpicht, als dass die Programmatik einer gleichsam naturgegebenen Unschuldigkeit Platz machte. Dubuffets Kunst ist eine der ersten, die auf eine Wortbildung mit –ismus verzichtet. Art Brut funktioniert als Begriff wie Pop Art, Minimal Art, Arte Povera. Diese Malerei der Unvermitteltheit bleibt indes, was die Avantgarde von jeher wollte: Manifest. www.fondationbeyeler.ch
Mehr Texte von Rainer Metzger

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