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Isenheimer Altar

Das Bild zur Karwoche. Der Gekreuzigte streckt alles von sich, was ihm die Agonie noch gelassen hat: Beflissen, als müssten sie die Sekunden abzählen, die noch bleiben, ragen die Finger über den Rahmen des waagrechten Balkens hinaus, die Füße sind Massen an Fleisch und schauen aus wie Gedärme, wie sie sich gerade beim Schlachten herausarbeiten. Dazwischen sucht sich der Leib seinen Weg zwischen der Martermaschine, die ihn in bizarrer Positur gebannt hält, und der Üblichkeit alles Irdischen, die ihn nach unten zieht. Der Gekreuzigte ist schon sehr gekreuzigt, und es bedürfte nicht des seinerseits beflissen gerichteten Fingers einer Begleitfigur, um auf ihn aufmerksam zu werden. Matthias Grünewald, wie man den Künstler nennt, hat alles aufgeboten, um seinen Kruzifix zum Isenheimer Altar werden zu lassen, zu einem Hauptwerk der Kunstgeschichte also, das in neuer Aufstellung im Colmarer Unterlinden Museum prangt und zu einem Osterspaziergang einlädt. Herzog & De Meuron, Musée Unterlinden, Colmar, Frankreich, Isenheimer Altar, Foto: Ruedi Walti/Museum Unterlinden Der Isenheimer ist ein Wandelaltar und die himmelhoch getürmte Golgatha-Szene seine Werktagsseite. Sonntags gab es Verkündigung, Engelskonzert, Himmelfahrt zu sehen, am Feiertag gingen abermals Flügel auf, und es zeigten sich, neben zwei Darstellungen aus dem Leben des heiligen Eremiten Antonius, Skulpturen von der Hand eines heute ziemlich vergessenen Meisters aus Hagenau namens Niklas. Die Kreuzigung, die man unter der Woche sah, bestand, um sie verändern zu können, aus zwei Tafeln, geschickt hat der Maler die Demarkationslinie am linken Rand des senkrechten Kreuzesbalkens versteckt. Heute jedenfalls sieht das alles sehr einheitlich aus, mit den separaten Gruppen der Trauernden Maria, Johannes und Magdalena links, dem als Menschen gestorbenen Gott in der Mitte und dem schon sehr lutherisch vor- und aufzeigenden Johannes dem Täufer rechts. Isenheimer Altar, Detail: Kreuzigung mit hl. Sebastian und Antonius, Grablegung Sieht sie wirklich einheitlich aus? Es reicht der Abstand, den die etwas krude Rauminszenierung von Herzog/deMeuron (siehe dazu meinen Blog-Beitrag „Unterlinden") lässt, um zu erkennen, dass das alles nicht von einem einzigen Künstler sein kann. So vielen verschiedenen Tagesformen kann ein Profi schwerlich unterliegen, um all die Unterschiede in der Machart und natürlich auch in der Qualität zu rechtfertigen. Da ist die Hauptfigur, wie sie hängt und steht und alle Aggregatszustände gleichzeitig aufruft, als müsste sie mit sämtlichen Künsten der Antike konkurrieren; da ist die Assistenzfigur rechts mit der perfekten Grisaille-Malerei eines Gewandes, das aus nichts als einer riesigen Ohrenfalte besteht, und den seltsamen Gliedmaßen, die als Arm zu gebogen und als Bein zu klumpig sind; und da ist die Dreiergruppe links, die in Vollendung dafür steht, dass der Expressionismus Anfang des 20. Jahrhunderts für die Wiederentdeckung des Isenheimer Altars zuständig war, die dramatisch in Gebärde ein- und ausfließt, aber aus Teigigkeit und Körperlosigkeit besteht. Isenheimer Altar, Detail: 1. Wandlung: Verkündigung, Maria mit Kind, Auferstehung Schaut man dann noch darauf, was sich seitlich ergibt, tun sich noch mehr Qualitätsunterschiede auf. Das Beste am Altar sind die beiden Standfiguren eines Sebastian und eines Antonius an den fest installierten peripheren Tafeln, zwei Paradestücke eines imginären Wettbewerbs mit der Skulptur, prächtige, monumentale Demonstrationsobjekte, als wären sie von Dürer. Das Schlechteste ist die Predella, die Übergangszone unten zum Altartisch mit einer Grablegung, die einen ratlos hinterlässt. Wie kann das alles von einer Hand sein? Isenheimer Altar, Detail: 2. Wandlung, Antoniusszenen Da passt es wunderbar, dass dieser Grünewald eine Konstruktion des späten 17. Jahrhunderts ist. Der deutsche Vitenschreiber Joachim Sandrart hat sich die Kunstfigur ausgedacht, er brauchte zum dokumentierten Kürzel MGN einen Namen und romantisch avant la lettre wie er war kam Sandrart auf den grünen Wald. Man weiß bis heute nicht viel von Meister MGN, den man mit einem Mathis Gothard und wahlweise Nithard in Verbindung bringt, weiß, dass er in Aschaffenburg arbeitete, 1528 starb und als „mhaler" und „wasserkunstmacher" tätig war. Der Isenheimer Altar, man datiert ihn auf 1512 – 15, weist in seinen besten Passagen nach, dass der Meister die gleichzeitigen Italiener kannte, Dürer sowieso, und dass er also mit allen Wassern gewaschen war. Warum er vielerlei delegiert haben muss, entzieht sich unserer Kenntnis. Sein Oeuvre ist nicht so groß, dass er uns heute überarbeitet scheint.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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