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Befreiung der Bilder? Ausstellungen und digitale Formate

Aus den Nachrichten zur Veränderung des Ausstellungswesens im Zeitalter digitaler Formate stach zuletzt der angebliche „Diebstahl der Nofrete“ heraus: Zwei KünstlerInnen behaupteten, dass es ihnen gelungen wäre, die mit Fotografierverbot belegte Ikone im Neuen Museum in Berlin unbemerkt zu scannen. In weiterer Folge stellten sie eine 3D-Replik des Werkes her und veröffentlichten den dafür notwendigen Datensatz. (1) Zwar wurden prompt technische Zweifel laut, ob die Daten tatsächlich in subversiver Weise vor Ort gewonnen wurden, doch die Urheber des Coups wiesen ohnehin weniger auf die technischen Aspekte hin, als auf das „Commoning“, mit dem sie die Detaildaten nunmehr für alle interessierten Kreise verfügbar gemacht hatten. (1) Ein anderes Signal zu einer „Befreiung“ der Bilder erreichte uns von der Robert Rauschenberg Foundation, die darüber informierte, dass ihr Bildbestand in Zukunft – ohne Genehmigung und Gebühren – nach den Prinzipien von „Fair Use“ zur Verfügung stehen würde. Begründet wurde der Schritt mit der Feststellung, dass es durch die bisherigen Schranken zu einer zu großen Einschränkung von Nutzungen gekommen wäre. Die Stiftungsvorständin Christy Mac Lear lieferte dazu in der New York Times ein Zitat, das auch auf andere Bereiche des Ausstellungswesens angewendet werden könnte: „The system has created barriers for the wrong people, […].” Wir wollen jedoch heute die rechtlichen Aspekte außer Acht lassen und stattdessen wieder einmal über den Umstand nachdenken, dass eine der Grundfesten des konventionellen Ausstellungswesens – der Glaube an die Notwendigkeit der Erfahrung des Originals – bereits seit längerem ins Wanken gekommen ist. Der aktuelle Wendepunkt liegt in der Qualität der Abbildungen und den immer reichhaltigeren Möglichkeiten mit dem gefundenen Material umzugehen. Die Rauschenberg Foundation nannte etwa die Verwendung der Abbildungen in Social Media als einen der Gründe für ihren Freigabeschritt und verwies ausdrücklich darauf, dass auch der sogenannte „transfomative use in artworks“ von der Freigabe umfasst ist. Damit in Einklang erreichen uns beinahe täglich Nachrichten über die Öffnung von Bilddatenbanken, die durch Such-, Sortier- und Speicherfunktionen immer bessere Möglichkeiten zur individuellen Verwendung bieten. Als nur ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit kann der vor zwei Wochen erfolgte Relaunch von „Art UK“ genannt werden, einer Datenbank von derzeit etwa 200.000 Kunstwerken in öffentlich-britischem Besitz, die aus der Erweiterung der BBC-Plattform „Your Painting“ hervorgegangen ist. Auch hierzulande existiert mit dem „Kulturpool“ bereits seit längerem ein Portal, mit dem die öffentlichen Sammlungsbestände digital verfügbar gemacht werden sollen. Die relative Unbekanntheit des Projekts, das immerhin bereits Teilbestände der Albertina, der Nationalbibliothek und einiger anderer Bundes- und Landesinstitutionen zu einer virtuellen Überblickssammlung zusammenführt, erklärt sich aus der sanften Schritt-für-Schritt-Taktik, die bei der Etablierung des Projekts gewählt wurde, um nicht den Anschein einer Zwangszusammenführung zu erwecken. Im Kunstbereich sind die Lücken noch gravierend: Zu „Lassnig“ ist – außer einem Portraitfoto der ÖNB – überhaupt nichts zu finden und bei „Art UK“ gibt es mehr Werke von Oskar Kokoschka oder Georg Eisler zu finden als im österreichischen Pendant. Doch in anderen – primär kulturhistorischen – Bereichen gibt es ergiebigere institutsübergreifende Recherchemöglichkeiten: Eine Testabfrage nach dem Stichwort „Wein“ lieferte etwa Plakate aus der Wienbibliothek im Rathaus ebenso wie ein Albertinablatt mit dem schönen Titel: „Zwei Betrunkene verlangen mehr Wein und werden von der Familie des Wirtes abgehalten“. Sowohl die hohe Qualität von Abbildungen wie auch die Verwendungsoptionen nagen am Vermittlungspotenzial der herkömmlichen Ausstellung. Während in einschlägigen Diskussionen immer noch viele MuseumskuratorInnen emphatisch davon ausgehen, dass nichts den Anblick des Originals ersetzen könne, ermöglichen die im Auktionswesen üblichen hohen Auflösungen und Zoomfunktionen schon längst Detailstudien, die in Ausstellungen aus Sicherheitsgründen sehr oft behindert werden müssen. Auch vergleichende Materialien und weiterführende Informationen können virtuell meist leichter beschafft werden als in einer rein analogen Ausstellung. Entgegen einer Auffassung, die glaubt, die Ausstellung nur als Tempel des Analog-Haptisch-Originalen retten zu können, hat die Erweiterung in die Medien – und die damit verbundene Vervielfachung ihres Potenzials – längst stattgefunden. Diese Ausweitung ist etwa dann zu beobachten, wenn man noch in der Ausstellung im mobilen Netz nach anderen Werken einer soeben „entdeckten“ Künstlerin zu suchen beginnt. Wir beenden die Abwägung mit einer ketzerischen Frage und einem versöhnlichen Besuch: Der Skeptiker könnte etwa daran zweifeln, ob es denn im Jahr 2016 wirklich noch notwendig ist, für die gerade mal 19 Gemälde und 20 Zeichnungen von Hieronymus Bosch den logistischen Großaufwand eines internationalen Ausstellungsblockbusters zu betreiben, ohne digital darüber hinaus zu gehen. Wo es um eine dermaßen übersichtliche Anzahl von Werken geht, wäre es ergiebig, einmal ein vollständig zugängliches digitales Leitprojekt zu schaffen, anstatt vor Ort die Ticketpreise zu erhöhen und die Erkenntnisse in zwei Fachpublikationen zum Preis von insgesamt 245 Euro zu packen. Immerhin sind die Ergebnisse des Bosch Research und Conservation Project online vefügbar. Wenn man sich von primär öffentlich finanzierten Museen und Sammlungen erwartet, in die Öffentlichkeit zu wirken, sollte es keinen Unterschied mehr machen, wo und wie man diese Öffentlichkeit erreicht – außer die Anzahl der verkauften Tickets überlagert diese Mission. Die versöhnliche Wahrnehmung kommt aus dem MUMOK in Wien, wo die intensiv betriebene Social-Mediakommunikation rund um die Eröffnung von „Köper Psyche und Tabu“ und der weiterhin praktizierte offene Zugang zu diesen Anlässen letzte Woche dazu führte, dass sich rund um die bekannten Werke plötzlich Hunderschaften von interessierten jungen BesucherInnen tummelten, deren Selfie- und Weiterverbreitungslust zudem nicht durch überzogene Security-Auflagen gestört wurde. Hier liegt der andere Schlüssel zur Attraktivität von Ausstellungshäusern im Zeitalter digitaler Verfügbarkeit: Wenn es ihnen nicht genügt, sich zu exklusiven Kultstätten analoger Originalerfahrung zu stilisieren, werden sie überall dort eine Chance haben, wo sie offene – also soziale – Orte für eine Vielzahl von Menschen bleiben. (1) Projektwebsite: nefertitihack.alloversky.com
Mehr Texte von Martin Fritz

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Warum in die Ferne schweifen?
Martin Fritz | 09.03.2016 08:52 | antworten
Fluch der Aktualität und Internationalität eines Texts: Folgende Hinweise aus der näheren Umgebung seien hiemit nachgeliefert: Das Technische Museum in Wien hat im Jänner diesen Jahres seine gesamte Objektdatenbank für die Öffentlichkeit freigeschalten. Die Kunsthalle Wien freut sich über den Hinweis, dass die kommende Ausstellung „L´Exposition Imaginaire“ diesem Thema gewidmet sein wird. Das Ferdinandeum in Innsbruck bietet seinen BesucherInnen mit "myFerdinandeum" seit letzter Woche die Möglichkeit einen virtuell-realen Ausstellungsraum zu „kuratieren“, und nahezu zeitgleich zum Text gab überdies das Kunsthistorische Museum bekannt, dass es mit der neuen App möglich sein werde „sonst Verborgenes wie Rückseiten, Innenansichten oder Röntgenbilder“ zu sehen. Was fehlt?

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