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Kunst-Musik-Tanz. Staging the Derra de Moroda Dance Archives: Regeln des Tanzes

Je nach Zeitgeist werden immer wieder andere Ansprüche an die Kunst gestellt: einmal soll sie revolutionär und sozialkritisch sein, ein anderes Mal neue Allianzen stiften und kompatible Forschung und Wissensbildung betreiben. Um den letzteren Motivationen zu genügen, herrscht seit einiger Zeit ein gesteigertes Interesse der Kunst für das Dokumentarische und somit der Wille zur Neuinterpretation diverser archivarischer Formen (z.B. Künstlerarchive wie Atlas von Gerhard Richter), die dann in die Kunst-und Ausstellungspraxis umgehend übertragen werden. Es ist also nicht verwunderlich, dass das Museum der Moderne in Salzburg, das heuer sein Programm auf die allernächste Umgebung ausrichtet bei der Realisierung der komplexen Großausstellung Kunst-Musik-Tanz erstmals mit der Salzburger Universität kooperiert, wo sich ein Juwel, das außergewöhnliche öffentliche Künstlerarchiv der Tänzerin, Forscherin und Choreografin Frederica Derra de Moroda (1897 Bratislava-1978 Salzburg), das sechs Jahrhunderte der Tanzgeschichte umfasst, versteckt. Zu diesem Zweck tritt das Mdm sogar „erstmals in größerem Stil“ (so Direktorin und Projektleiterin Sabine Breitwieser ) als Auftraggeber und Produzent von Kunstwerken, die von 10 internationalen Kunstschaffenden ausgeführt werden, auf. Bei den künstlerischen Beiträgen sowie beim collagierten Ausstellungsdisplay, das Transparenz und Schwarze Löcher zwischen Dokumentarischem und Künstlerischem zulässt, handelt es sich um visuelles Experimentieren mit der Ausstellbarkeit und Notationen der Tanzkultur der Moderne und ihren zeitdiagnostischen Wert für die Gegenwartskunst vor dem Hintergrund ihrer Interdisziplinarität und digitalen Multimedialität. Wobei das Hauptaugenmerk dem Modern Dance der 1920er- und 1930er- Jahre und seiner folgenden Entfaltung zur gegenwärtigen Performance-Kunst gilt. Von der zentralen Inszenierung der Ausstellung – die auf hohem Podest ausgewählte Dokumente und Gegenstände aus der Sammlung Derra de Morodas zur Schau stellt: Fotografien, Bücher, Autografen, Libretti usw. samt der bewegten Biographie der Künstlerin selbst, die als Antriebskraft für die neuentstandenen Arbeiten und Rekonstruktionen dienen – verteilt sich der Parcours in vier weitere formal abwechslungsreiche Zonen: Geschichte des „exotischen“ Tanzes, Bewegung Schreiben, Entwürfe und vernetzte Korrespondenzen. Eigentlich stellt der Tanz samt seiner Geschichte eine Kunstdisziplin dar, welche von der sonst interdisziplinären Kunstgeschichteschreibung bis heute ignoriert wird. Während des Nationalsozialismus galt beispielsweise der moderne Tanz nicht als „degeneriert“, da Körperkult, Naturnähe und die Neigung zum Mystizismus geschätzte Werte waren. Daher war die leidenschaftliche Sammlerin auch erfolgreich als Choreografin des propagandistischen nationalsozialistischen KdF–Ballets in den 1940ern tätig. Darauf nimmt die in New York lebende Künstlerin Andrea Geyer in der Dreikanal-Videoprojektion Truly Spun Never Bezug und reflektiert an der Schnittstelle zwischen Sprache und großen Bandbreite der subjektiven Körperbewegungen die fließenden Übergänge zwischen anscheinend verwandter Form und sich subkutan ändernder Ideologie. An die gleichzeitige Umwandlung des modernen Tanzes zur bloßen Unterhaltung und „zackiger Erotik“ erinnert Paulina Olowska in ihrer zwischen der Kulturdimension Low und High swingenden friesartigen Bilderserie. Olowskas Großbilder zeigen die gleiche osteuropäische Tänzerin einmal in der Rolle einer berüchtigten Nachtclub Ballerina und ein anderes Mal als anspruchsvolle Jazzinterpretin. Dazwischen visualisieren in vielen Farbklängen erklingende abstrakte Kompositionen Arabesque und Symphony in Three Movements grandiose Musik von Debussy und Stravinsky. Etwas weniger feminisierend und philosophierend werden die Ausdrucksregeln des modernen Tanzes in der interaktiven Foto- und Sound-Installation von Sergei Tcherepnin, der Musik studierte, mit dem Untertitel „Games“ inszeniert. Die im Raum frei hängenden Fotos von sportlichen weißen und farbigen Ballspielern kokettieren mit der bis heute boomenden Verbindung zwischen Tanz, Körperkult, Musikalität und Sport. Die an glänzende Fotooberfläche angebrachten Kupferbänder, die beim Berühren vibrierende Töne aussenden, geben den BetrachterInnen auch die Gelegenheit mitzuspielen. Berührt werden und berühren können – neben dem breiten Themenangebot sind in der Salzburger Ausstellung vor allem diese intensiven Emotionen und körperlichen Erfahrungen stark präsent.
Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Kunst-Musik-Tanz. Staging the Derra de Moroda Dance Archives
19.03 - 03.07.2016

Museum der Moderne Salzburg Mönchsberg
5020 Salzburg, Mönchsberg 32
Tel: +43 / 662 / 84 22 20-403, Fax: +43 / 662 / 84 22 20-700
Email: info@mdmsalzburg.at
http://www.museumdermoderne.at
Öffnungszeiten: täglich 10-18 h, Mi 10-20 h


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