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Metaphysik der Unsitten

Der Grünspan des Blicks


Trevor Paglen: They Watch the Moon, 2010, Courtesy Metro Pictures, Altman Siegel und Galerie Thomas Zander

In der Mitte funkeln die Gebäude wie kleine Kristalle. Rundherum ein Meer an sattgrünen Wäldern. Die Hügel formen weiche Wellen. Von der Ferne nimmt sich die Landschaft wie eine begehbare Matte aus. Beleuchtet sind winzige Gebäude. Es sind Parabolspiegel, die in den Himmel weisen, in einen Dunst, der für uns unsichtbar bleibt. Sie versammeln sich in der Landschaft wie auf einem Green eines Golfcourse. Hobbes’ „Leviathan“ mag eine solche Aussicht gehabt haben. Mit Kulleraugen schaute er auf Hügel und Wälder herab, behütete die Menschen in einer kleinen Ansiedlung, in der sich einige Häuser um eine Kirche und einige Vorgärten sammeln. Die Welt ist idyllisch unter seiner Obhut. Er nennt sich Friedensfürst, obwohl sein Name von einem alttestamentlichen Monster herstammt. Seine Zwiespältigkeit beweist sein Kettenhemd aus einer Unzahl an Menschen. Ist es möglich, eine Einheit zu schaffen aus der Vielheit aller? Trevor Paglen zeigt in seinen Bildern Überwachungsstationen. Sein Werk lässt sich schnell resümieren: Was wir erblicken, hat uns längst schon erfasst. Der Modus ästhetischer Beschönigung verstärkt die Zweigesichtigkeit. Der Unterschied zu Hobbes besteht darin, dass für den gegenwärtigen Blick Augen, ja überhaupt der Blick, nicht mehr nötig sind. Militärische Methoden verfügen über weit subtilere Beobachtung als das vermeintlich allsichtige Fürstenauge wahrnehmen könnte. Auch das Objektiv und der erhöhte Standpunkt, den Paglen gegen seine übliche Praxis für dieses Sujet nutzt, kommen dagegen nicht an. Wir sind längst beobachtet. Unser digitaler Abdruck ist von den Geheimdiensten registriert, lange bevor wir es bemerken. Abhörgeräte und detektivische Maßnahmen wie Fotografien sind angesichts von GPS und Big Data Anachronismen. Der Grünspan ist Hinweis auf das militärische Rüstzeug. Der Wald auf dem Foto ist künstlich wie unter einem Nachtsichtgerät. Er ist eine Camouflage des Sehens ohne Sicht, zugleich eines Sehens, das seiner eigenen romantisierenden Naivität erliegt. Es ist die Romantik, die uns solche Landschaften sehen gelernt hat und unser Bildgedächtnis färbt. Paglen spielt mit der Illusion des dauerhaft Friedlichen, das von ihr geerbt wird. Man denke an all die Bilder, die in den Sinn kommen: die Übersicht einsamer Wanderer, das Staunen an untergehenden Sonnen, Schiffe, abendliche Entrückung, stille Unermesslichkeit. Das Erhabene, das die Lust am Schauer und dem Übermächtigen beinhaltet, wirkt noch immer. Wir wollen das Erhabene verstetigen, obwohl wir es besser wissen müssten. Denn seine Voraussetzung, die Vorstellung eines souveränen Subjekts, das sich angesichts des Anderen diesem im Staunen unterwirft, ist nicht mehr gegeben. Ist der Mensch noch Souverän seiner Lebenswelt? Und wie steht es mit dem Zusammenschluss vieler unter einem staatlichen Dach? Der Befund fällt ernüchternd aus. Weder Bürger noch Staaten scheinen diese Macht mehr inne zu haben. Durch die technologische Unterwanderung kommen sie dem Wortsinn des Begriffs „Subjekt“ als das „Unterworfene“ immer näher. Die NSA hat uns längst durchleuchtet, noch lange bevor sie eine Sicht auf sich zulässt. Paglen gibt einen Hinweis durch den phosphoriszierenden Glitter. Nicht die Natur und ein Seinlassen eines kontemplierenden Subjekts sind hier abgebildet, sondern ein maschinelles Monstrum, das sich schmuckvoll und kleinteilig ausgibt. Auch ohne Paranoia wäre zu lernen, dass die Darstellung des lustvoll Schauerlichen eine selbstverschuldete Falle ist. Sie entstammt den eingeübten Bildtraditionen des 19. Jahrhunderts, die in den Nachbildern der gegenwärtigen Tourismuswirtschaft noch immer gepflegt werden. Indes ist keine Bebilderung für das ununterbrochene Beobachtetwerden entwickelt. Wir sind blind gegenüber der Macht, die uns unterhöhlt. Wir sind zahnlos angesichts der technologischen Anmaßung und ihrer Metaphysik der Unsitten.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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