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Der weißeste Job ist Kurator! Diversity in New York

Sogar der österreichische Behördenapparat musste im Laufe des letzten Herbsts erkennen, dass er unter anderem wegen fehlender Vielfalt in seinen Teams schlecht auf die Arbeit an den Grenzübergängen vorbereitet war. Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft kam nicht zuletzt deswegen zu Stande, weil viele der freiwilligen HelferInnen wegen ihrer eigenen Lebenserfahrung den Schutzsuchenden kompetenter gegenübertreten konnten als viele der ausschließlich in Österreich sozialisierten Profis. Im Zuge desssen wurde vielen anderen Organisationen bewusst, dass es sich auf Dauer rächt, wenn sich die gesellschaftliche Vielfalt nicht in den internen Strukturen widerspiegelt. Die Einsicht in die Notwendigkeit von Vielfalt zählt somit zu den Lernzielen, zu denen sich die Gesellschaft nunmehr im Schnelldurchgang durchzuringen hätte. Auch in den Kultur- und Medienbetrieben dämmert es mittlerweile manchen, wie wenig die eigene Arbeitsumgebung mittlerweile den aktuellen Realitäten entspricht. Man muss ja kein Interkulturexperte für die Erkenntnis sein, dass viele Programm-, Themen- oder Abbildungsentscheidungen anders verlaufen würden, wenn sie nicht über irgendwelche „anderen“, sondern von und mit „denen“ – und auch mit Entscheidungsmacht für „die“ – getroffen würden. Auffälligerweise sind jedoch gerade Kulturbetriebe häufig eine Bastion alter Monokulturen, was Sie anekdotisch jederzeit bei einem Vergleich zwischen einer Drogeriemarktfilliale und dem Kulturbetrieb ihrer Wahl nachvollziehen können. Um jedoch nicht im Anekdotischen und Spekulativen zu verharren, wären solide Untersuchungen dazu hilfreich. Da diese bisher fehlen, ist es notwendig, einen Umweg über die USA zu machen, wo die Ergebnisse einer groß angelegten Studie dazu soeben veröffentlicht wurden. (1) Wir konnten bereits davon berichten, dass sich in New York kulturpolitische Bewegung zeigt. Eine der Schwerpunkte firmiert unter dem Titel „Culture belongs to Everyone – Diversity and Equity in New York City´s Cultural Workforce“. Diese Initiative wurde mit einer groß angelegten Studie begonnen. Dafür wurden all jene knapp 1000 Organisationen (mit ca. 48.000 Mitarbeitenden) die Förderungen des Department for Cultural Affairs erhalten hatten um Angaben gebeten, wobei die hohe Beteiligung dadurch „motiviert“ wurde, dass der vom Kulturstadtrat Tom Finkelpearl unterschriebene „Einladungsbrief“ den Hinweis enthielt, dass eine Beteiligung Bedingung für zukünftige Förderanträge wäre. Die Studie widmete sich vorwiegend den Aspekten „Gender“, sowie „Race & Ethnicity“, wobei dazugesagt werden muss, dass die AutorInnen gleich zu Beginn darauf hinweisen, dass die Kategorisierungen und Zuordnungen ihre Fragwürdigkeiten beinhalten. In den USA sind jedoch „Race & Ethnicity“-Auswertungen Teil der Volkszählung und vieler anderer Statistiken, die nicht zuletzt zu Antidiskriminierungszwecken durchgeführt werden. In Übereinstimmung damit wurde für jeden Mitarbeitenden neben Geschlecht, Alter, Position, Einstellungsdatum und „Disabilities“ nach folgenden Informationen gefragt: „White“, „Black or African American“, „American Indian or Alaskan Native“, „Asian“, „Native Hawaiian or Other Pacific Islander“, „Two or More Races“, „Decline to state“ sowie nach der „ethnischen“ Zuordnung „Hispanic or Latino“. (2) Ein deutschsprachiges Pendant müsste hier wohl mit den Kategorien Staatsbürgerschaft, Geburtsort (und allenfalls Geburtsort der Eltern) agieren, wobei diese Angaben nicht notwendigerweise alle Diskrimimierungsgründe (etwa Hautfarbe oder Name) aufzeigen könnten. Welche zentralen Ergebnisse liegen nun aus New York vor? Die genderbezogenen Auswertungen zeigen eine Frauenquote von 52,55 % quer über alle Funktionsebenen mit dem leicht überrraschenden Befund, dass dieser Anteil bei den „Senior“-Funktionen noch leicht steigt und bei „Leadership“-Positionen sogar 58% beträgt. Die Auswertung nach beruflichen Positionen zeigt „Community Engagment“, „Development“ und „Support and Administration“ mit über 70% als die „weiblichsten“ Funktionen, während auf der anderen Seite in „Facility“ und „Security“ nur knapp über 20% Frauen beschäftigt sind. Im Spartenvergleich verzeichnen die Teams von Fotografie-, Literatur- und Wissenschaftsorganisationen Quoten von über 70%, während Musik, Theater und Folk-Arts knapp unter 50% liegen. Die Studie konnte also resümieren, dass die Genderverteilung der Gesamtbevölkerung entspricht, wozu jedoch eigens angemerkt wird, dass „non-binary individuals“ „notably underrepresented“ sind. Die Ergebnisse zu „Race & Ethnicity“ fasste Finkelpearl hingegen mit einem trockenen „We have work to do“ zusammen: 62% aller MitarbeiterInnen in Kulturbetrieben wurden dem Segment „White-Non Hispanic“ zugeordnet, welches laut Volkszählung nur 33% der Stadtbevölkerung umfasst. Dieser „weiße“ Anteil steigt auf der „Senior“-Ebene auf 74% und landet auf der „Leadership“-Ebene bei 78%. „Leadership“ in Museen toppt diesen Wert noch mit 84%. Der „weißeste“ Job ist übrigens Kurator (3), denn der populäre Jobtitel liegt mit 79% „White-Non Hispanic“ am äußersten Ende jener Skala, an deren anderen Ende „Security“ und „Facility“ stehen, jene Bereiche, in denen sich in New York also nicht nur die wenigsten Frauen, sondern auch die wenigsten Weißen finden. Auf viele andere Aspekte – wie etwa auf die überraschend geringe Zahl von Mitarbeitenden mit „Disabilities“ – kann hier nur kursorisch verwiesen werden. Als Hoffnungsschimmer hält die Studie bereit, dass sich bei kleineren Organisationen und jüngeren Jahrgängen bereits ein Bild abzuzeichnen beginnt, das in stärkerem Maß den demographischen Realitäten der Stadt entspricht. Zuletzt soll auch angemerkt werden, dass es gegen die Terminologie und Praxis der „Diversity“ auch Einwände gibt, die sich insbesondere auf den neoliberalen Optimierungskern des Konzepts beziehen. Dieser bestünde nur darin, eine „buntere“ und „produktivere“ Oberfläche zu schaffen, ohne gesellschaftliche Machtverhältnisse zu thematisieren. Zusätzlich verweist etwa der amerikanische Autor und Kritiker Ben Davis – in seiner Analyse der Studie für artnet – darauf, dass wohl „Class“ der eigentlich verdrängte „Elephant in the Room“ wäre. Nicht zuletzt wegen der Machtfragen verlinkt er in seinem Beitrag auf ein Interview mit dem Kollektiv „HowDoYouSayYaminAfrican?“, das mit seiner kritischen Teilnahme und dem anschließenden Rückzug von der letzten Whitney Biennale Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Dezidiert wenden sich die Befragten darin gegen eine rein „vielfältige“ Behübschung und stellen klar: „Our protest is about institutionalized systemic white supremacy“. Doch wie so oft finden die InstitutionskritikerInnen zugleich auch die besten Formulierungen für den Nutzen, den ihre Praxis für die Institutionen haben könnte: „The idea of looking at inclusion not from the perspective of „we need numbers“, but actually of having the knowledge to understand different aesthetics, about where different art comes from and what that means.“ -- (1) Die gesamte Studie mit insgsamt 30 Auswertungen und Diagrammen findet sich hier (2) Einen guten Überblick über die mit diesen Kategorisierungen verbundenen Umfrageschwierigkeiten gibt dieser Artikel: (3) Mit Dank an Eric Davis und seine Formulierung „ The whitest job of them all is „Curator“! in seinem artnet Artikel:
Mehr Texte von Martin Fritz

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