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Besucherkosmetik

Die Pressestelle der Nationalbibliothek verschickte kürzlich eine Jubelmeldung. Mehr als 520.000 BesucherInnen habe man 2015 in den Museen und Lesesälen zu verzeichnen gehabt, einen neuen Besucherrekord. Tatsächlich: Mitunter fällt es schwer, in der größten Bücherei des Landes einen Platz zu ergattern. Auch bei den Garderobeschränken wird es oft eng. Doch merkwürdig: Während die Benutzer und Benutzerinnen dicht an dicht an den Tischen sitzen, kursieren ebendort im Verhältnis dazu nur wenige Bücher aus den Beständen der Bibliothek – wie jeder feststellen kann, der einen Blick auf die Fächer wirft, wo die Ausleihzettel deponiert sind. Viele der Gäste nehmen nämlich das, womit sie sich beschäftigen – etwa bunt markierte Skripten –, selbst mit. Zwischendurch surft man im Internet, schreibt SMS und E-Mails, hört über Kopfhörer Musik, schaut, was auf Facebook so los ist oder lümmelt im Foyer mit Sandwiches und Cola herum. Die Nationalbibliothek, wo es einst nicht einmal einen ordentlichen Kaffeeautomaten gab, wurde zu einem überaus attraktiven Ort. Das ist gut. Doch was sagen Besucherzahlen aus, wenn bloß ein geringer Teil tatsächlich das nutzt, was den Daseinszweck dieser Institution ausmacht? Wenn der Großteil der Gäste die Lesesäle bloß als Studierstube oder auch einfach als erweitertes Wohnzimmer begreift, dessen Kernaufgabe aber gar nicht wahrnimmt? Ein ähnliches Phänomen zeigt sich im Technischen Museum. Die beiden Kinderbereiche dort sind wahre Magneten für Familien. An Schlechtwettertagen sind sie sogar zeitweilig wegen Überfüllung geschlossen. Zwar schaut sich wohl nur ein Bruchteil auch tatsächlich die Bestände des Museums an. Die Besucherstatistik fetten sie dennoch auf. Es ist durchaus zu begrüßen, wenn Institutionen diverse Zusatzangebote bieten. Kinder ins Museum zu holen, das ist nie ein Fehler. Außerdem gab schon schlimmere Fälle von Besucherzahlen-Kosmetik. Dennoch sollte man sich vergegenwärtigen, aus welchen Gründen manche Häuser tatsächlich gestürmt werden. Und dass diese manchmal nur am Rande mit ihrer eigentlichen Bestimmung zu tun haben.
Mehr Texte von Nina Schedlmayer

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Saalaufsicht
abin | 26.01.2016 08:19 | antworten
Der Artikel spricht mir aus der Seele! In meiner Studentenzeit (liegt schon einige Jahrzehnte zurück) war das Platzangebot viel geringer. In jedem Lesesaal war eine Aufsicht, die mit strengem Blick darauf geachtet hat, daß wirklich nur Leser Platz bekommen haben, die sich mit Büchern der Bibliothek beschäftigten. Das war auch in der Stadtbibliothek so. Ein Mißbrauch als "Wohnzimmer" oder "Wärmestube" war ausgeschlossen. Solche Leute wurden weggeschickt, auch wenn sie sich "Alibibücher" vor sich hinlegten. Dem Auge des Cerberus ist nichts entgangen. Es ist auch heute noch so in den kleineren Lesesälen (Josefsplatz, Herrengasse u.s.w.). Aber es gibt auch im großen Saal der Nat.Bi. eine Lösung. Ich habe einmal für Forschungszwecke keinen Platz gefunden, weil alles voll war. Zwei Herren im schwarzen Anzug haben mir geholfen und kurzerhand einen Platz frei gemacht, von dem ersichtlich war, daß der Leser nur ein Skriptum studiert hat. Bleibt letztlich nur die Frage offen, ob mit der Veröffentlichung der Besucherzahlen ohnehin nur Eitelkeiten der Institutionen befriedigt werden. Mir als Leser und Forscher ist die Statistik gleichgültig!

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