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Anish Kapoor - My Red Homeland: Intensität zwischen Farbe und Raum

Faszinierend, zu sehen, wie unterschiedlich ein und dasselbe Werk an verschiedenen Orten wirken kann und wie es da jeweils neue Bedeutungen entlädt. Es erinnert an die Möglichkeit spiritueller Erfahrung. Wie viele Arbeiten des britischen Künstlers Anish Kapoor führt dessen Intensität über die Wörter hinaus. Zugleich öffnen sich zahlreiche politische Konnotationen, die nicht gewollt im Werk selbst angelegt sein müssen, jedoch näher rücken, sobald der Künstler die sich zuspitzenden kriegerischen Auseinandersetzungen im arabischen Raum anspricht. »My Red Homeland« ist eines der imposanten, raumeinnehmenden Werke von Anish Kapoor. Wegen ihres Umfangs von 12 Metern lässt sich die zylinderförmige Bodenskulptur nur erschließen, indem man sie umgeht, indem man sie aus der Bewegung heraus also in verschiedenen Perspektiven geradezu körperlich wahrnimmt, ohne dass sich, vor allem wegen ihrer Dimensionen, die Möglichkeit ergibt, alle Details ihrer Strukturen aus der Nähe anzusehen. Aus mehr als 20 Tonnen rot gefärbter Vaseline besteht dieses Teil. Es scheint, als würde sich unter der eingetrockneten, stellenweise wie gefärbter Rohbeton aussehenden, teils liquid scheinenden Farbsubstanz etwas Maschinelles befinden. Das hängt damit zusammen, dass dieses Objekt tatsächlich so generiert wurde, indem ein sich drehender Stahlarm die zähe Farbe aufrührte und diese dann in einem Zustand trocknete, der noch etwas von der gewaltigen Bewegung erahnen lässt. Ja, selbstverständlich interessieren Anish Kapoor Fragen der Wahrnehmung, freilich versuchen seine Werke sich etwas Substantiellem anzunähern, wenn er mit Farbpigmenten arbeitet. Farbe hat für Anish Kapoor in vielen Werken einen nahezu absoluten Charakter und wird in unterschiedlichen Formen materialisiert. In einigen Werken versucht er deren pure Wahrnehmung zu ermöglichen. Farbe als Metapher Angesichts dieser mäandernden Farbschichten, im Gegenüber mit diesem geologischen Aufriss, mit dieser Visualisierung von Prozessen der Farbverfestigung, drängen sich aber genauso metaphorische Leseweisen geradezu auf. Eine schwere, dysfunktionale Maschine wie aus einem Text Franz Kafkas war hier am Werk; Spuren eines Opferrituals, zynische Brutalität. Gewaltsame Manipulation der Materie. Das könnte einem einfallen. Es liegt nahe, die rote Farbe auch mit Blut zu assoziieren. Dann aber hat man wieder die gewölbten Spiegel vor sich, die den Raum verzerren und an den Wänden eben reine Pigmentbilder. Sie führen zur ursprünglichen Idee von Anish Kapoor, dessen Werke nicht nur Annäherungen an Grundformen der Wahrnehmung, sondern auch Reflexionen des Begriffs der Skuptur sind. Hohlräume, die Leere, die Materialisation, Gewinnung von Form: Das sind Themen Kapoors. Sein monumentales Werk »My Red Homeland« ist übrigens 2003 gemeinsam mit dem Kunsthaus Bregenz für seine dortige Personale entwickelt worden und war seither in mehreren Museen der Welt – unter anderem im Guggenheim Bilbao – zu sehen. Der Titel, so Anish Kapoor, sei persönlich, er meine damit auch sein eigenes, inneres Heimatland, denn Rot sei die Farbe der Emotionen und Leidenschaften und das Werk wie auch andere, Ausdruck der Suche nach Unendlichkeit. »My Red Homeland« ist eines der beeindruckendsten und größten Werke der Gegenwartskunst im Bereich der Skulptur. Dafür bietet das Moskauer Jewish Museum and Tolerance Center in einer ehemals städtischen Busgarage die entsprechenden räumlichen Möglichkeiten. Unerwartetes Statement zur aktuellen politischen Krise Die Erfahrung von Raum schließt für Anish Kapoor aber auch den sozialen Raum ein. Sobald der in London lebende Künstler indischer Herkunft, dessen Mutter eine jüdische Irakerin ist und der als Jugendlicher in einen Kibbuz ging, bevor er in London und in Dehradun im Norden Indiens Kunst studierte, selbst spricht, geht es nicht bloß um Innerlichkeit oder um formale Operationen, sondern wird es politisch. Im Zuge der Eröffnung der großen Ausstellung im Jewish Museum and Tolerance Center in Moskau diesen September, war es Anish Kapoor ein Anliegen zu den politischen Debatten rund um die in Europa Schutz suchenden Flüchtlinge Stellung zu nehmen. Wir würden in einem Zeitalter der Durchmischung, des Nebeneinander und hoffentlich auch produktiven Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Erfahrungen leben. Speziell das Publikum hier in Moskau sollte sich vergegenwärtigen, dass gerade die russische Metropole eine unentwegt wachsende multiethnische Global City sei; mit zahlreichen BewohnerInnen aus dem asiatischen Raum. Was Europa gegenwärtig erlebe, das sei, so Kapoor ein weltweites Phänomen, mit dem wir umzugehen lernen müssten. Ein medial vermitteltes Sujet dieses Sommers 2015 sei das Bild der ständig gehenden, wandernden, schreitenden Flüchtlinge. Viele hätten grauenhafte Dinge erlebt, die in Moskau in Westeuropa lediglich aus dem Zweiten Weltkrieg in Erinnerung seien. Doch deren Entschluss, ihre Wurzeln zu verlassen, um anderswo eine Existenz aufzubauen, ließe darauf schließen, dass es sich größtenteils um starke Menschen handle, um Menschen, die Zukunft bedeuten. Unerwartet direkte Worte waren das an einem Ort der selbst dem Thema der Migration und der Diaspora gewidmet ist. Die Eröffnung dieser Ausstellung im Rahmen der Moskau Biennale, die durch das Engagement der mächtigen Lisson Gallery zu Stande kam, war ist für aus Mitteleuropa angereiste Kunstinteressierte auch Gelegenheit, das 2012 eröffnete, beeindruckende Jewish Museum and Tolerance Center in der von Konstantin Melnikov und Vladimir Shukhov entworfenen und nun komplett neu adaptierten Bakhmetevsky Bus Garage kennenzulernen. Wie viele Häuser dieser Art ist es ein historisches High-Tech Museum mit Multi Media Charakter. Es liegt im Norden von Moskaus Innenstadt im Dreieck zwischen den Metro Stationen Prospekt Mira, Maryina Roshcha und Mendelewskaja und ist eines der größten historischen Jüdischen Museen der Welt.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Anish Kapoor - My Red Homeland
22.09.2015 - 17.01.2016

Jewish Museum and Tolerance Center
Moskau, Obraztsova St., 11, build. 1A, Moscow
Tel: +7 495 645-05-50
Email: info@jewish-museum.ru
http://www.jewish-museum.ru/
Öffnungszeiten: So-Di 12-22, Fr 10-15 h


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Kurator Kunsthaus Bregenz
Sagmeister Rudolf | 02.11.2015 03:35 | antworten
Über die Entwicklung und den Aufbau von "Red Homeland", 2003, von Anish Kapoor durch das Kunsthaus Bregenz, siehe facebook Rudolf Sagmeister

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